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  • Süße Ernte, bittere Wahrheit

    Seit 70 Jahren summt es im Leipziger Norden: Eine Bio-Imkerei zeigt, wie
    nachhaltige Bienenhaltung auch in Zeiten von Klimawandel und Preisdruck
    gelingen kann.

    Auf einmal: Ortsschild Göbschelwitz. Nur noch ein paar Minuten bis zum Ziel ein paar Straßen weiter — Hohenheida. Dort angekommen, im Bienenweg, erscheint der Hof der „Bio-lmkerei Beer“. In der Auffahrt ertürmt sich ein großer, schwarzer Geländewagen samt Anhänger. Um diesen herum eine Schar surrender Insekten. Kurz darauf steigt Richard Beer aus dem Fahrzeug, Inhaber des Familienunternehmens. „Poah, wo kommen denn all diese Wespen her?“, wettert er und stapft beinahe fluchtartig in den Verkaufsraum der Imkerei. Drinnen riecht es nach einer Mischung aus Holz, Bienenwaben und Honig — alles sehr orange, warm und gemütlich. Auch die Wespen hält nichts davon ab, sich dazuzugesellen. Nach ein paar wenigen Vorbereitungen für den Tag geht es für ihn los auf die Arbeit. Er läuft zurück zum Auto und schließt die Tür.

    Mit etwa 220 Bienenkästen begegnet die Imkerei Klimawandel und Preisdruck. Foto: Richard Beer

    Beer ist seit 7 Jahren Berufsimker. Auf der Fahrt erzählt er, wie er zur dieser Tätigkeit gekommen ist. Nach einem kurzen Ausflug in seine früheren Lebensstationen bewältigter Ausbildungen, erklärt Beer, dass er als Quereinsteiger in der Familienimkerei seines Vaters Fuß gefasst hat und diese seit einigen Jahren auch selbst führt. Der Betrieb ist bio-zertifiziert und bereits seit 70 Jahren fester Bestandteil der regionalen Honigproduktion in Leipzig. Die Verwendung tiergerechter und organischer Mittel für das Bekämpfen von Krankheiten, das Recycling alter Waben oder natürliche Fütterungsmethoden führen dabei zum Erhalt des Bio-Siegels. Beer legt bei den fast 220 Bienenkästen großen Wert auf eine naturnahe Betriebsweise. Ein Kasten fasst im Sommer durchschnittlich zwischen 50.000 und 60.000 Individuen.

    Zudem führt er aus, wie sein Standpunkt zu Hobbyimker*innen ist. Also zu solchen mit deutlich kleineren Individuenzahlen. Die meisten, die das Imkern nur als Hobby betreiben, würden falsch an die Sache herangehen. Ein Honigbienenvolk brauche viel Zeit und technisches Know-How. So würden viele Hobbyimker*innen die Varroa-Milbe unterschätzen. Das ist laut Beer ein Parasit, der für Honigbienen in Europa die aktuell größte Gefahr darstelle und sich bei falscher Behandlung auf andere Völker übertrage. Er beteuert, dass auch unsachgemäße und langwierige Eingriffe in den Kasten die Bienen unnötig stressen würden. Mangelnde Erfahrung der Hobbyimker*innen würde dies nach Beers Einschätzung nur noch weiter negativ verstärken.

    Preisdruck im Honiggeschäft

    Zuletzt argumentiert er aus wirtschaftlicher Perspektive. Der große Bienentrend, der sich unter anderem durch einen enormen Mitgliederzuwachs beim deutschen Imkerbund äußert (+40 % zwischen 2014 und 2024), konkurriere zwar nicht mit dem Honig seines Betriebs, aber besonders auf lokaler und regionaler Ebene würden sich die verschiedenen Honighersteller gegenseitig den Platz im Supermarktregal wegnehmen. Ganz zu schweigen vom internationalen Preisdruck, bei dem große Konzerne mit ihrem Billighonig nur so um sich schmissen.

    Inzwischen, fast in Delitzsch, hält Beer an einem kleinen Wiesenstück. Dort stehen 14 Bienenkästen, die er für den Weitertransport vorbereitet. Das ist die Aufgabe der sogenannten Wanderung. Neben einer kurzen Inspektion des Kastens befördert Beer bestimmte Völker in andere Gebiete. Solche, die durch neue Nahrungsquellen, reichere Lebensräume für die Bienen schaffen sollen. Das geschieht mit dem Ziel, höhere Erträge aus den Völkern zu schöpfen. Nach dem zweiten oder dritten Kasten, den er auf die Ladefläche befördert, wirft Beer eine Weisheit in den Raum, die er für den Rest des Tages nicht nur einmal verlautbaren sollte: „Wenn’s sticht, nicht loslassen!“ Und das bedeutet mit anderen Worten: Sollte es passieren, dass man während des schweren Hebens von einer der 60.000 Bienen gestochen wird, dann darf man sich erst seinem qualvollen Leid ergeben, wenn der Kasten abgestellt werden kann. Doch zum Glück passiert nichts und kurz darauf sitzt er auch schon wieder im Auto.

    Beer spricht nun über den Klimawandel. Genauer: Ob die Imkerei bereits jetzt dessen Auswirkungen zu spüren bekommt. Dies bejaht er noch im selben Atemzug. „Auch wenn wir durch unsere gemäßigten Breitengrade in Deutschland im europäischen Vergleich mit zum Beispiel Spanien oder Portugal bisher recht glimpflich davonkommen, sind auch wir von sehr niederschlagsarmen, sehr heißen Sommern betroffen“, erklärt er. Vor allem der Landkreis Nordsachsen gelte als eine der trockensten Regionen Deutschlands. Dies habe Auswirkungen auf die Nahrungsversorgung der Bienen. Weniger Raps auf den Feldern, weniger Kornblumen am Wegesrand. Die verminderte Verfügbarkeit von Nektar und Pollen reduziere stark die Individuenzahlen.

    Wehrhafte Bienen

    Weitaus verheerender sei jedoch die zuvor erwähnte Varroa-Milbe. Sie gilt nach Beer als einer der dramatischsten Faktoren für Völkerverluste weltweit; sie schwäche Bienen, übertrage Viren und sei sehr schwer zu kontrollieren. Dazu kommt die steigende Verbreitung der asiatischen Hornisse, die sich vor allem durch die milderen Winter immer öfter in Deutschland ansiedele. Die Zunahme invasiver Arten sei eine direkte Folge der Klimakrise. Doch wie nun damit umgehen?

    Zunächst markiert Beer, dass sich die Honigbiene als eine sehr robuste und klimaresiliente Art erwiesen habe und bereits seit circa einer Million Jahre in den europäischen Breiten beheimatet sei. Somit habe sie verschiedene Formen von Warm- und Kaltzeiten überstanden und sei auch momentan nicht vom Aussterben bedroht. Dennoch müsse sie geschützt werden und das könne innerhalb eines Imkereibetriebes folgendermaßen passieren: Zum einen könne eine fachgerechte Arbeitsweise mit einem stetigen und intensiven Durchsehen der Völker die Ausbreitung von Krankheiten verhindern. Zum anderen spielten auch die Standortwahl und die Temperatur der Kästen eine Rolle. Dennoch befürchtet Beer, die Zahl der Individuen reduzieren zu müssen. Das wären Einkürzungen, die auch im Ertrag des Honigs spürbar sein würden. Dieser sei ebenso gefährdet durch die Lage am Weltmarkt. Auf der einen Seite importiere die Ukraine infolge der verstärkten Kooperationspolitik seit dem Angriffskrieg zollfrei Honig aus der EU. Allerdings importierten weitere Drittstaaten ihren Honig wiederum über die Ukraine. Der Preis falle. Auf der anderen Seite arbeiteten immer mehr Länder wie China mit verfälschten Honigprodukten, bei dem synthetischer Zuckersirup echtem Honig beigemischt werde. Das Produkt werde damit gestreckt. Letztendlich führe auch dies zu einer sehr dramatischen Preislage am Markt, zu einer gewissen Konkurrenz zur Imkerei Beer (dennoch konkurriere deren Bio-Honig eher selten mit Billighonig) und zu großen Profitmargen für die Hersteller dieses unechten Honigs.

    Alltag als Imker

    Für seinen letzten Stopp nimmt Beer Kurs auf einen Golfplatz in der Nähe der Neuen Messe. Nachdem er dafür drei schwere Gatter aufgeschlossen hat, kann er ihn auch endlich betreten — beziehungsweise befahren. Auf dem immer noch sehr langen Weg vorbei an Löchern, Fahnen und Sandgruben, erzählt er zum Abschluss noch ein paar persönliche Dinge zu seinem Beruf. Das Berufsimkern sei keine leichte Tätigkeit. Speziell in den Sommermonaten sei sehr viel zu tun. Da bleibe wenig Zeit für Freizeit. Er hebt hervor: „Auch der Arbeitsalltag als solcher ist vergleichsweise anstrengend.“ Das viele Schleppen der Kästen, lange Autofahrten und die zahlreichen Anrufe, die er allein an diesem Tag entgegengenommen hat, wären ziemlich herausfordernd. Doch über dem steht für Beer der Spaß. Denn sowohl die Arbeit in der Natur mit den Bienen als auch deren Schutz würden eine spannende Arbeitsatmosphäre bieten. Bei Zweiterem stellt er immer wieder heraus, dass der schonende Umgang mit den Völkern (vor allem durch die Bio-Betriebsweisen) sinnstiftend und bewusstseinsfördernd sei und auch den Pluspunkt eines sehr abwechslungsreichen Alltags markiert Beer häufig.

    Noch einmal steigt er aus. Wieder will er Kästen verladen. Doch ziemlich schnell erkennt Beer, dass diese Bienen heute keinen besonders guten Tag erwischt haben. Schnell setzt er seinen NetzKopfschutz auf. Alles passiert in wenigen Sekunden. Die Bienen jagen hin und her. Wahrscheinlich wiederholt er innerlich seinen eigenen Satz nochmal: Wenn’s sticht, nicht loslassen. Als Beer sich nach einigen Minuten wieder ins Auto setzt, hebt er seinen Finger. Er ist rot und pulsiert. Richard Beer wurde wirklich gestochen. Hoffentlich hat er nicht losgelassen.

     

    Titelbild: Richard Beer

     

    Anmerkung der Redaktion: An dieser Version des Artikels wurden Veränderungen zur Version in der Printausgabe Herbst 2025 vorgenommen.

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