Von 95 Thesen zu „In aller Freundschaft“ – Leipzig als Medienstadt im Wandel der Zeit
Die Geschichte Leipzigs als Medienstadt begann bereits im 15. Jahrhundert und neben Universitäten und Druckprivilegien spielten dabei auch Pelzhandel und Reformation eine entscheidende Rolle.
Leipzigs Geschichte beginnt um das Jahr 900 als kleine slawische Siedlung. Aufgrund der günstigen Lage an zwei Haupthandelsstraßen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation steigt sie schnell zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Güteraustausch zwischen West- und Osteuropa auf. Leipzigs Hauptwirtschaftssektor dieser Zeit ist der Fellhandel. Im Laufe der Geschichte wird die Stadt neben London zum internationalen Zentrum der Pelzwirtschaft. Unter anderem deswegen erhält der Leipziger Brühl auch den Beinamen „Weltstraße der Pelze”, den er bis zum Zweiten Weltkrieg beibehalten soll.
Doch was hat das mit Medien zu tun? Der Pelzhandel und die Bedeutung Leipzigs als Handelszentrum bildeten den wirtschaftlichen Grundstein und die nötige Infrastruktur für das, was folgte. Zwei Faktoren begünstigen den Erfolg Leipzigs als Stadt des Buches: die 1409 gegründete Universität und das 1497 durch den Kaiser verliehene Messe-Privileg. Das sorgte für eine hohe Nachfrage nach Wissen, Büchern und Lehrmaterial. Vom Status als Reichsmessestadt profitierten die späteren Buchhändler und Druckunternehmen. Das erste in Leipzig gedruckte Buch ist die „Glossa super apocalypsim”, welche im Jahr 1481 erscheint. Dabei handelt es sich um das Werk eines italienischen Mönches, der unter dem Eindruck der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen vor einer angeblichen „Türkengefahr” in Europa warnt. Der erste wirkliche Erfolg war jedoch – 40 Jahre später – Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testaments. In der Wittenberger Filiale des Leipziger Druckers und Verlegers Melchior Lotter wurde 1522 der wahrscheinlich erste deutsche Bestseller gedruckt. Doch nicht nur dadurch spielte Lotter eine wichtige Rolle in der Verbreitung der Reformation. Insgesamt veröffentlichte er etwa 150 Schriften Luthers, darunter auch die bekannten „95 Thesen wider den Ablass“.
Krise kann auch geil sein
Im Zuge der Reformation erstarkten Druck und Buchhandel in Leipzig enorm. Wurde noch 1527 der Verleger Hans Hergot wegen des Vertriebs vermeintlich „aufrührerischer Schriften” auf dem Leipziger Marktplatz hingerichtet, so wurde hier die Reformation 1539 offiziell eingeführt und die kurfürstlichen Druckprivilegien deutlich liberaler als in den katholischen Gebieten vergeben. Die Zahl akademischer – insbesondere theologischer – Streitschriften schnellte in die Höhe und wurden zu einem einträglichen Geschäft für Drucker und Verlage.
Mitte des 18. Jahrhunderts ist Leipzig zu einer festen Größe des europäischen Buchhandels angewachsen. Doch noch dominierte Frankfurt als bedeutendstes deutsches Buchzentrum den Markt. Ausgerechnet der gebürtige Hesse Philipp Erasmus Reich sollte dies ändern. Reich hatte die Leitung der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung übernommen – der damals größten Buchhandlung in Leipzig. Durch hohe Honorare an seine Autoren konnte er einige bedeutende Namen wie Jakob Michael Reinhold Lenz an seinen Verlag binden. Zudem beschäftigte er literarische Agenten, insbesondere in Paris und London, und vertrieb so deutsche Übersetzungen anderssprachiger Werke. 1764 rief Reich dann dazu auf, Frankfurt als Messeplatz zu begraben. Ein Jahr später schlossen sich 52 Buchhändler in Leipzig zusammen, um sich besser gegen staatliche Zensur sowie unautorisierte Raubdrucke zu wehren. Zudem ersetzten sie den zunächst üblichen Tauschhandel (Buch gegen Buch) durch den sogenannten Netto-Handel (Ware gegen Geld), der sich als gängige Praxis etablierte. So löste Leipzig allmählich Frankfurt als Buchmetropole ab. Unter der Vielzahl an Verlagen und Druckereiunternehmen, die sich in Leipzig ansiedelten, befinden sich einige sogar noch heute sehr bekannte Namen. Beispielsweise das Verlags- und Druckereiunternehmen Brockhaus. Mit der 1796 erscheinenden Erstausgabe des „Conversationslexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die gegenwärtigen Zeiten“ erscheint ein Werk, welches weltweit zum Vorbild für Lexika und Enzyklopädien werden sollte: der Brockhaus, der das gebündelte Wissen der Zeit sammelt. Unter dem Inhaber Friedrich Arnold Brockhaus führt das Unternehmen die von Zeitgenossen mit Angst und Argwohn betrachtete, dampfbetriebene Schnellpresse ein und wird so 1832 zum größten deutschen Verlags- und Druckereiunternehmen.
Angriff auf das Monopol
Nicht überall wurde die herausragende Stellung Leipzigs im Buchmarkt positiv bewertet. Am 30. April 1825 wurde der Börsenverein der Deutschen Buchhändler als erster über die Grenzen der damaligen deutschen Länder hinweg agierende Berufsverband gegründet. Ziel war es, das Leipziger Quasi-Monopol zu brechen und den Buchhandel zu vereinheitlichen. Zu dieser Zeit war das Deutsche Reich der bekannte „Flickenteppich“ aus einer Vielzahl an Fürsten- und Herzogtümern. Diese Kleinstaaterei hatte zur Folge, dass es im Reich unterschiedliche Währungen gab, was den Handel „Buch gegen Geld“ massiv erschwerte. Doch wie so oft im sich gerade entwickelnden Monopolkapitalismus schlug das Monopol zurück. Die Leipziger Buchhändler traten dem Verein massenhaft bei und übernahmen ihn mit Hilfe ihrer wirtschaftlichen Stärke. 1888 wird der Vereinssitz nach Leipzig ins Buchhändlerhaus im Graphischen Viertel verlegt und widmet sich dem Kampf für die einheitliche Einführung des Urheberrechts, der Pressefreiheit, feste Buchpreise sowie gegen Zensur.
Vormachtstellung und Niedergang
1912 stieß der Börsenverein die Gründung der Deutschen Bücherei an, heute die Deutsche Nationalbibliothek. Sie sollte deutsche Neuerscheinungen im In- und Ausland sammeln, erschließen und kostenfrei zur Verfügung stellen. Die Eröffnung folgte 1916. Entgegen seiner sonst so freiheitlichen Forderungen und seines Eintretens gegen Zensur, unterstützte der Börsenverein ab 1933 bereitwillig die Gleichschaltung durch das NS-Regime sowie den Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder. Auch bei den Bücherverbrennungen wirkte er mit und der Vorstand erarbeitete eine Liste mit Schriftstellern, die sie als „schädlich“ erachteten. Darunter befanden sich beispielsweise Kurt Tucholsky, Erich Maria Remarque und Heinrich Mann. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lagen große Teile der Stadt in Trümmern. Insbesondere das Graphische Viertel, in dem fast alle der 3.843 Firmen des Buchhandels und Buchgewerbes in Leipzig ihren Sitz hatten, war zu 80 Prozent zerstört. Wichtige Verlage, darunter Brockhaus oder der Insel Verlag, verließen die Stadt und zogen in den Westen, insbesondere nach Frankfurt. Andere wurden in der entstehenden DDR enteignet und in größeren Verlagen zusammengefasst. Doch Leipzig behielt seine führende Rolle als Buchstadt, zumindest im Osten. Von den 78 Verlagen der DDR hatten 38 ihren Sitz in Leipzig.
In die Unabhängigkeit
Heute existieren kaum noch große Verlagskonzerne in Leipzig. Stattdessen dominieren kleine, unabhängige Verlage und eine große Kreativ-Szene. Von Nischenverlagen wie Festa, der sich auf die Übersetzung und den Vertrieb angloamerikanischer Horrorliteratur spezialisiert hat, über Schreibwerkstätten und -kollektive bis hin zum Selbstverlag. Dennoch gibt es weiterhin Überbleibsel, die von der ehemaligen „Buchhauptstadt Leipzig“ zeugen. Sei es die Deutsche Nationalbibliothek, deren Standort sich Frankfurt mit Leipzig teilt. Oder das Deutsche Literaturinstitut, welches angehenden Schreiberlingen ermöglicht, den Studiengang Literarisches Schreiben an der Universität Leipzig zu studieren, was sonst in Deutschland nur noch in Hildesheim der Fall ist. Oder auch die jährlich stattfindende Buchmesse, die jedes Jahr tausende Besucher in die Stadt lockt.
Presse: Von der Nachricht zur Media City
1650, zwei Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs, brachte der Leipziger Drucker Timotheus Ritzsch die erste Tageszeitung der Welt heraus. Die „Einkommenden Zeitungen“ erschienen an sechs Tagen pro Woche. Nach nur zwei Jahren musste Ritzsch die Produktion jedoch einstellen, da sein Zeitungsprivileg auslief. Trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens und eines Umfangs von lediglich vier Seiten, besaß sie großen Einfluss auf die Entwicklung moderner Pressearbeit. Sie enthielt im Gegensatz zu den parteiischen Vorgängern Berichte und Nachrichten aus ganz Europa ohne Meinungsteil. Hierfür hatte sich Ritzsch ein Netz aus Informanten in großen Metropolen wie Paris, Lissabon oder Riga aufgebaut, das bereits an heutige Recherchenetzwerke aus Reportern und Auslandskorrespondenten erinnert. 1660 folgte die von Ritzsch herausgegebene „Neueinlaufende Nachricht von Kriegs- und Welthändel“, seit 1734 auch unter dem Namen „Leipziger Zeitung“ bekannt, die ohne Unterbrechung bis ins 20. Jahrhundert fortbestand. In der Zeit der Aufklärung entwickelte sich Leipzig zum wichtigsten Druckort von Zeitschriften, beginnend ab 1688 mit den „Monatsgesprächen“ von Christian Thomasius als erste Zeitschrift in deutscher Sprache. Ab 1853 wurde „Die Gartenlaube“ im Verlag von Ernst Keil zur ersten populären Sonntagszeitung. Konzeptionell verband Keil Aufklärung mit Unterhaltung, Entspannung und Eskapismus mit kritischen Analysen des politischen Geschehens. Die Idee dazu kam ihm, als er eine neunmonatige Haftstrafe wegen „Pressevergehens“ absaß, da er als Journalist des Vormärz unter anderem über das Leid der Schlesischen Weber und die Armut im Erzgebirge berichtete. Diese sozialkritische, nationalistisch-liberale und zur damaligen Zeit sehr progressive Zeitschrift gilt als erstes erfolgreiches deutsches Massenblatt, welches zunächst nur in Leipzig, später auch in Berlin und Wien vertrieben wurde und eine Auflage von bis zu 400.000 Stück erreichte. Heute ist Leipzig Hauptsitz des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und beheimatet mit der Media City einen wichtigen Standort der Medienbranche. Auf über 30.000 Quadratmetern Produktions- und Studiofläche entwickeln und erstellen etwa 90 hier ansässige Unternehmen ihre Inhalte für Film und Fernsehen, Hörfunk sowie Web- und Printmedien. Unter anderem befindet sich hier das Studio, in dem die Kult-Krankenhaus-Serie „In aller Freundschaft“ produziert wird.
Titelbild: public domain
		
		
			
		
		
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