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  • Pressefreiheit unter Druck

    Angriffe auf Journalist*innen haben weiter zugenommen. Neben physischen und verbalen Bedrohungen sind auch rechtliche Schritte wie sogenannte SLAPP-Klagen ein häufiges Mittel der Einschüchterung.

    Die Zahl körperlicher Angriffe auf Journalist*innen in Deutschland ist weiter angestiegen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) aus Leipzig. Nach 69 Fällen im Jahr 2023 wurden für 2024 insgesamt 98 physische Angriffe auf Medienschaffende in Deutschland verifiziert. Seit Beginn der systematischen Erfassung im Jahr 2015 ist das der höchste Stand. „Vor allem seit der Corona-Pandemie ist dieses Niveau deutlich angestiegen“, erklärt Patrick Peltz, Co-Autor der Studie. Wie schon im Vorjahr ereigneten sich 2024 die meisten tätlichen Angriffe in Berlin (62 Fälle), gefolgt von Sachsen mit zehn und Bayern mit sieben Fällen. Seit Beginn der langjährigen Untersuchungsreihe war Sachsen in der Summe das Bundesland mit den meisten Angriffen auf Medienschaffende, neuer Spitzenreiter ist seit dem vergangenen Jahr Berlin.

    Daten von Reporter ohne Grenzen bestätigen diesen Trend. Für 2024 hat die Organisation ähnliche Zahlen wie das ECPMF dokumentiert: Mit 89 Fällen habe sich die Zahl der Übergriffe auf Journalist*innen in Deutschland 2024 im Vergleich zum Vorjahr (41 Fälle) mehr als verdoppelt. Peltz schätzt die Dunkelziffer von Angriffen auf Journalist*innen dabei als noch höher ein. „Vor allem Beleidigungen und andere Formen verbaler Einschüchterung sind schwierig zu erfassen“, erklärt er. Zudem würden nach Abschluss des Auswahlverfahrens immer noch Fälle zutage treten, die letztlich nicht in die Daten mit einfließen konnten.

    Lokaljournalismus unter Druck

    Neben einer verbesserten Erfassung von Fällen erklärt sich Peltz den Anstieg auch durch die gestiegene Zahl an Demonstrationen: „Die meisten physischen Angriffe werden bei Demonstrationen erfasst.“ Die politische Einordnung der Vorfälle sei dabei schwieriger geworden. „In den letzten Jahren ist der Anteil an unbekannter oder nicht eindeutig identifizierbarer Gewalt gestiegen“, sagt er. Von den 98 physischen Angriffen wurden 75 als unbekannt klassifiziert, 20 als politisch rechts und drei als links motiviert. Dies sei durch ideologisch heterogene Proteststrukturen bedingt, wie sie beispielsweise vor dem Hintergrund des israelisch-palästinensischen Konflikts oder der Corona-Pandemie aufgekommen sind. „Eine Kontextualisierung der Gewalt ist wichtig, da sich vieles nicht mehr mit einer Links-Rechts-Heuristik einordnen lässt“, sagt Peltz.

    Vor allem durch die Verankerung der AfD auf allen politischen Ebenen stelle die extreme Rechte dennoch die strukturell größte Bedrohung für die Pressefreiheit dar, sagt Peltz. „Innerhalb der extremen Rechten ist die Herabwürdigung von kritischen Medien wesentlicher Bestandteil der metapolitischen Strategie. Vor dem Hintergrund der Wahlerfolge der AfD beobachten wir eine Verstetigung von offener Feindlichkeit – sowohl bei Akteur*innen der extremen Rechten als auch in ihrem Wähler*innenumfeld“, erklärt Peltz. Zu physischen Angriffen bei Demonstrationen und Veranstaltungen kämen Beleidigungen im Internet sowie Bedrohungen hinzu. Auch die Verweigerung von Akkreditierungen für unliebsame Medien und Journalist*innen werde zunehmend von Parteien wie der AfD praktiziert.

    Vor allem im Lokalen seien Journalist*innen einer komplizierten Situation ausgesetzt. Die räumliche Nähe zu medienfeindlichen Akteur*innen erschwere die Arbeit. Aufgrund der Rolle von Lokaljournalist*innen, die häufig in der Region leben, über die sie berichten, komme es zu einer Vermischung von Berufs- und Privatleben. Dieser Umstand werde durch medienfeindliche Akteur*innen, die sich ebenfalls im sozialen Nahraum der Lokaljournalist*innen bewegen, zum Problem. Erschwerend würden knappe finanzielle Ressourcen, Personalmangel und hohe Arbeitsbelastung hinzukommen.

    „Die Kombination aus diesen Faktoren führt dazu, dass Lokaljournalist*innen teilweise bestimmte Themen weniger intensiv oder gar nicht aufgreifen“, erklärt Peltz. Häufig würden nach der Veröffentlichung Beleidigungen oder gezielte Einschüchterungsversuche folgen. „Medienschaffende geraten ins Visier, was nicht nur psychisch belastend ist, sondern auch zusätzliche Arbeit bedeutet.“ Vor allem konfliktträchtige Recherchen würden oft Einschüchterungsversuche mit sich bringen. Dazu zählt unter anderem die Berichterstattung über Migration, den Klimawandel und die extreme Rechte selbst, sagt Peltz.

    SLAPP-Klagen als Mittel der Einschüchterung

    Auch juristische Verfahren würden zur Einschüchterung von Medienschaffenden beitragen. So identifizieren die Studienautor*innen neben körperlicher Gewalt strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation, kurz: SLAPPs) als relevante Bedrohung für die journalistische Arbeit. Unter SLAPPs werden missbräuchliche rechtliche Schritte gefasst, die kritische Stimmen einschüchtern und von unerwünschter Berichterstattung abschrecken sollen. Das können Abmahnungen, aber auch teure und zeitaufwändige Gerichtsverfahren sein.

    „Seit mehr als zehn Jahren nimmt die Verrechtlichung des Journalismus zu“, sagt Uwe Krüger vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft im Universitätsmagazin der Uni Leipzig. So würden einzelne Medien schon während ihrer Recherchen presserechtliche Warnschreiben von einschlägig bekannten Anwaltskanzleien erhalten. „Das ist zu einem Geschäftsmodell geworden und kein ausschließlich deutsches Phänomen“, sagt Krüger. Laut der Koalition gegen SLAPPs in Europa (CASE) nimmt die Zahl strategischer Klagen in Europa weiter zu, wobei CASE im Zeitraum von 2010 bis 2023 insgesamt 1.049 Fälle identifiziert hat.

    Auch luhze ist ein SLAPP-Opfer. In der Dezemberausgabe von 2021 berichteten wir über eine Initiative von Mieter*innen, die gegen die Firma United Capital vorgingen. Dabei ging es um den Umbau von Mietraum zu teuren Studierendenwohnungen. Das Immobilienunternehmen United Capital wollte per einstweiliger Verfügung verbieten, dass einige Aussagen der Mieterinitiative weiterverwendet werden, da sie geschäftsschädigend seien. Kurz vor dem Gerichtstermin zog United Capital seinen Antrag zurück. Der ursprünglich angesetzte Streitwert betrug 50.000 Euro.

    Auch wenn einzelne Klagen juristisch erfolglos bleiben, können sie Journalist*innen davon abhalten, über bestimmte Themen kritisch zu berichten. Dieses Phänomen wird als Chilling effect bezeichnet. Um zu vermeiden, dass sich Journalist*innen aus bestimmten Arbeitsfeldern zurückziehen und Themen bewusst meiden, müssen laut Peltz Unterstützungsangebote für Medienschaffende weiter ausgebaut werden: „Auch wenn sich staatliche und nichtstaatliche Schutzmaßnahmen in den vergangenen Jahren verbessert haben, gibt es weiterhin Unterstützungslücken.“ Vor allem freiberufliche Journalist*innen, die sich nicht auf die Unterstützung eines Medienhauses verlassen können, würden sich oft einer schwierigen Situation ausgesetzt sehen. Laut der ECPMF-Studie arbeiteten in mindestens 39 Fällen die angegriffenen Journalist*innen freiberuflich. „Bei lokalen Behörden fehlt teilweise die Sensibilisierung. Vandalismus an Privatadressen sind nicht einfach nur Sachbeschädigungen, sondern sind ernstzunehmende Drohungen, die eine pressefreiheitliche Dimension beinhalten“, sagt Peltz.

    Unterstützung für Journalist*innen:

    Journalisten-Helpline – geeignet bei psychosozialen Problemen
    Telefon: 030 7543 7633
    E-Mail: helpline@nrch.de

    No SLAPP Anlaufstelle – geeignet bei rechtlichen Einschüchterungen
    Telefon: 0151 2023 6423
    E-Mail: contact@noslapp.de

     

    Titelbild: Johannes Rachner

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