Die Rückkehr zum traditionellen Leben
Das Phänomen der Tradwives ist vielen auf TikTok oder Instagram schon begegnet. Warum Frauen dieses „häuslich-harmonische“ Leben wählen, ergründet Hannah Lühmann in ihrem neuen Roman „Heimat“.
Videos von schönen jungen Müttern, die sich rund ums Kochen, die Natur, ihre Kinder und einen traditionellen Lebensstil drehen, sind ein verbreitetes Social-Media-Phänomen. Bei den Urheberinnen handelt es sich um sogenannte Tradwives, was eine Abkürzung für traditional wife ist. Was zunächst harmlos und unterhaltend scheint, steht oft mit rechtem und nationalistischem Gedankengut in Verbindung. Genau damit beschäftig sich Hannah Lühmann in ihrem neuen Roman „Heimat“, indem sie auf einfühlsame Weise versucht, die weibliche Sehnsucht nach diesem überholten Idealbild, zu verstehen.
Im Zentrum der Handlung steht die Ende-dreißig-jährige Jana, die Mutter zweier kleiner Kinder ist. Jana erwartet bereits ein drittes Kind. Sie und ihr Mann Noah haben sich entschieden von der Stadt in einen fortschrittlichen und modernen Vorort zu ziehen, in dem es große Zustimmung zur AfD gibt. Sie hat aus Problemen der Vereinbarkeit ihren Job gekündigt und verbringt jetzt ihren Alltag mit den Kindern. Die Beziehung zu Noah, der gerade ein Mindestmaß an Care-Arbeit übernimmt, ist eingeschlafen – außer die Kinder verbindet sie nichts mehr. Das einzig Schöne und Lebendige in Janas Leben scheinen ihre Kinder zu sein. Sie ist einsam, überfordert und hat kein soziales Umfeld in ihrer neuen Heimat. Bis sie auf Karolin trifft, eine strahlende und sehr erfüllt wirkende Mutter von fünf Kindern. Sofort empfindet Jana eine große Bewunderung für sie. Jana entwickelt eine kleine Obsession für ihren Content auf Instagram – den einer typischen Tradwife.
Ab der ersten Seite wird der*die Leser*in in Janas Alltag und ihre Gedanken reingezogen. Schnell sympathisiert man mit der Figur und fängt an sich mit ihren Zweifeln und Sehnsüchten zu identifizieren. Lühmann bedient sich an einer klaren, schnörkellosen Sprache und zieht den*die Leser*in in Janas Welt. Die Autorin beschreibt sehr eindrücklich, wie die Lebenswelten von Karolin und Jana aufeinandertreffen. Sie zeigt auf, wie Jana durch die immer engere Freundschaft mit Karolin Stück für Stück ihre Werte über Bord schmeißt, um sich einem einfachen harmonischen Familienleben hinzugeben. Damit macht die Autorin die Rückentwicklung einer modernen Frau, die Kinder und Arbeit unter einen Hut bekommt, zu einer traditionellen Hausfrau aufzeigen und greifbar.
Leider wird der innerliche Werterumschwung von Jana nicht ganz nachvollziehbar. Es wäre gut gewesen noch mehr Einblick in Janas Gefühlswelt zu bekommen, um emotional noch mehr nachvollziehen zu können, warum eine aufgeklärte Frau ihre individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung so aufgeben kann. An diesem Punkt hätte Lühmann noch tiefer einsteigen müssen. Janas Passivität gegenüber den von Karolin subtil propagierten rechtskonservativen Werten wirkt an manchen Stellen konstruiert und nicht ganz glaubwürdig. Aber vielleicht geht es Lühmann genau darum diese Resignation aufzuzeigen. Jana steht sinnbildlich für Mütter, die sich den einfachen Lösungen hingeben, weil sie keine Kraft mehr haben, widersprüchliche Erwartungen zu erfüllen. Der ganze Roman hat einen fast gruseligen Unterton, da es immer wieder Hinweise darauf gibt, dass Karolin möglicherweise einem gewaltvollen Ehemann ausgesetzt ist. Damit wird die erhöhte Gefahr patriarchaler Unterdrückung aufgezeigt, die mit der Rückbesinnung auf die Kernfamilie einhergeht. Lühmann verbindet in ihrem Roman sehr intelligent aktuell politische Zustände, wie den Zuwachs der AfD, die damit zusammenhängende angestrebte Rückbesinnung zur Kernfamillie und dem Tradwife-Social-Media-Trend. Der Roman schafft es, auf eine mitreißende Art politisch und gleichzeitig unterhaltend zu sein.
Das Buch „Heimat“ von Hannah Lühmann ist im hanserblau Verlag erschienen und kostet 22€.
Titelgrafik: Sara Wolkers


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