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  • Drittligist der Herzen

    Kreisklasse als Couture: Warum Polyester von 1994 mehr über Haltung erzählt als jedes Designerlabel.

    Man sieht sie auf Festivals, im Club, im Uni-Foyer oder zwischen Sojaschnitzel und Filterkaffee am Wochenmarktstand: Menschen in Trikots. Aber nicht Ronaldo, nicht Messi. Stattdessen: Waldhof Mannheim, Rot-Weiß Erfurt, der AC Reggiana mit Möbelhaus-Sponsor. Je unbekannter der Verein, je seltener das Wappen – desto begehrter der Polyester.

    Was einst Ausdruck ewiger Klubtreue war, ist heute modisches Spielmaterial. Das Trikot hat seine Vereinsbindung verloren. Man trägt, was gut aussieht – oder möglichst absurd. Wer kennt schon Clydebank FC oder BSC Young Boys 1993? Genau. Deshalb.

    Trikots sind zu Kultobjekten geworden: halb Streetwear, halb Requisite aus einer alternativen Fußballvergangenheit, die man nie selbst erlebt hat – aber irgendwie gern hätte.

    Redakteurin Greta Eising. Foto: privat.

    Romantik im Schweißfleck

    Die alten Trikots erzählen Geschichten. Oder zumindest tun sie so. Sie erinnern an Zeiten, in denen Sponsoren noch „Kabel Müller“ hießen und nicht „CryptoCoinX“. Zeiten, in denen ein Auswärtssieg in Wattenscheid schon als Heldentat galt. Ihre Farben sind zu grell, ihre Muster zu wild, ihre Logos zu groß – und genau das macht sie so reizvoll.

    Denn in einer durchgestylten, glatten Welt wird das Unperfekte wieder schön. Polyester mit Geschichte schlägt Performancewear mit Marketingabteilung.

    Queer Eye fürs Klubdesign

    Besonders beliebt sind die Trikots bei queeren und kreativen Milieus – nicht trotz, sondern wegen ihrer maskulinen Vergangenheit. Das Trikot, einst Ausdruck testosteronsatter Fußballkultur, wird umcodiert. Eine Drag-Künstlerin im Dortmund-Shirt von ’98? Das ist kein Gag – das ist Stilkritik mit Glitzer. DJs, die sich im Lazio-Trikot hinter die Plattenteller stellen, tragen keine Fanliebe, sondern Ironie. Und Femininität in viel zu großen England-Trikots? Ein modisches Eigentor für alte Männlichkeitsbilder.

    Zugehörigkeit ohne Verpflichtung

    Der aktuelle Trikot-Trend zeigt: Wir wollen Teil von etwas sein – aber ohne Abo-Modell. Keine Dauerkarte, nur Design. Wir tragen Farben, nicht Flaggen. Wir suchen Stil, keine Vereinsgeschichte.

    Vielleicht ist das Shirt von Fortuna Köln 1994 also mehr als nur Kuriosität. Vielleicht ist es das neue Bandshirt – für Menschen, die keine Gitarren mehr hören, aber wissen, dass Stil Haltung sein kann.

    Und manchmal heißt diese Haltung eben: Kreisklasse mit Stolz. Stadionwurst als Accessoire. Und ein Fujifilm-Logo auf türkisfarbenem Grund — schräg, aber irgendwie schön.

     

    Titelbild: Erstellt mit Chatgpt.

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