Wenig Kraft, viel Musik
Auch dieses Jahr lockte das Highfield-Festival am Störmthaler See tausende Musikenthusiast*innen an. Ein Bericht über buntgemischte Musik und wilde Acts.
Was wäre der Sommer ohne das Highfield-Festival? Ein Sommer mit einem Sonnenbrand, einem eklatanten Nährstoffmangel und vielen blauen Flecken weniger. Trotzdem pilgerten in diesem Jahr laut der Leipziger Volkszeitung 28.000 Personen zum Störmthaler See im Süden von Leipzig. luhze hat das diesjährige Festival vom 15. bis 17. August besucht.
Freitag: Indie-Hits bei Hitze
Fans der Chemnitzer Band Blond ließen sich von rosafarbenen Vorhängen, glitzernden Outfits und girly Dance-Moves nicht täuschen. Trotz viel Humor und poppiger Elemente textet das Trio aus Lotta, Nina und Johann knallharte Gesellschaftskritik. Während Lotta dem mit Klitoris ausgestatteten Publikum verspricht, sich mit der richtigen Dosis Blond-Musik selbst lecken zu können, beklagt sie sich im nächsten Song über die gesellschaftliche Vernachlässigung des weiblichen Stimulationsorgans. Und der Song „Männer“, der schon vor Jahren auf den Überschuss männlicher Artists im Festival-Line-up aufmerksam machte, bekommt eine aktuelle Bedeutung: Die Rapperin Futurebae rappt in einem Feature-Auftritt darüber, dass sich bis heute, auch auf dem Highfield, nichts geändert habe. Aber „immerhin“: Zuletzt hat Blond 2023 auf dem Highfield als kleiner Act um zwölf Uhr gespielt – dieses Jahr mit deutlich mehr Publikum um 17:45 Uhr. „Nächstes Jahr haben wir ’nen Headliner“, verabschiedet sich die Band.
Die Leoniden konnten erneut ihre Buchstabier-Skills zur Schau stellen. Zum Glück war die besungene Person in „L-O-V-E“ nicht anwesend, sonst wäre der Act wohl ziemlich still geworden („I cannot speak when you’re around“). Das wäre aber kein Problem gewesen, denn auch ohne Gesang zog der Leoniden-Gitarrist eine beeindruckende Break-Dance-Show samt im Flug kreisender Gitarre ab. Es blieb jedoch das beunruhigende Gefühl zurück, die aufgeführten Cover mehr gefühlt zu haben als die eigenen Songs der Band. Vielleicht ist es aber auch einfach unmöglich, sich durch einen Mr. Brightside nicht die Show stehlen zu lassen.

Ein Miley-Cyrus-Gedächtniskonzert nannte die Band Von wegen Lisbeth ihre Show mit Augenzwinkern. Foto: Jonas Böhme.
Zwar war das Publikum beim nächsten Act enttäuscht, dass auf der Pseudo-Abrissbirne über den Köpfen des Indie-Urgesteins Von Wegen Lisbeth keine Miley Cyrus saß. Trotzdem konnten die Bandmitglieder in einem mystischen Kreis aus Lichtsäulen für genügend Stimmung sorgen. Neben zahlreichen Hits wurde mit Percussion, Synthesizer, Gitarre und Bass auch ein neuer Song gespielt – auch ohne Textsicherheit konnte das Publikum gut mit den Lyrics über das Auseinanderleben zweier einst Vertrauter mitfühlen.
Samstag: Potpourri statt Einheitsbrei
Letztes Jahr noch auf der Nebenbühne, eröffneten die Bierbabes am Samstagmittag die Hauptbühne. Für das Highfield 2026 haben die beiden noch keine konkreten Pläne: „wir reiten die Welle“, sagt das Musikerinnen-Duo aus Leipzig im Gespräch mit luhze. „Dass wir hier sind, ist schon insane.“ Diese Euphorie klingt bei Songs wie „Trichter Romantik“ oder „10 vor 10“, einer Hymne an die Alkoholabteilung des Supermarktes, deutlich mit. „Wir machen Musik, weil es uns Spaß macht“. Auch wenn sich die beiden nicht klar festlegen können, ob Bier oder Musik vorzuziehen sei, dreht es sich in den gerappten Lyrics auf Techno-Beats nicht nur um Bier. Themen wie Polizeigewalt oder Schlafstörungen werden zumindest humorvoll angerissen. Der Weg des Duos bleibt spannend, Ende des Jahres touren die Bierbabes durch Deutschland.
Ungeplant war auch die Begegnung zwischen der Sängerin Paula Carolina und dem Vokuhila-Typ Johann aus dem Publikum. Nachdem sie ihn für mackerhaftes Verhalten beim Moshpit schlagfertig in seine Schranken wies, performte sie zum Trost den Song „Es regnet Hirn“ mit ihm zusammen. Zwar lenkten die Fans die Aufmerksamkeit wieder auf die Sängerin, doch mit etwas weniger Johann wäre mehr Zeit geblieben für Paulas unzähmbaren Mix aus Party-Hits auf Techno-Beats, ironischer Gesellschaftskritik, Rockgitarren und persönlichen Indie-Balladen. Spätestens bei der Rohversion von Paula Carolinas neuem Stück „Wo ist der Bus“ über ungefragtes Zulabern an der Haltestelle war Johann aber vergessen.
Möglicherweise verlor er sich in den Moshpits bei Swiss und Die Andern. Die Band hob sich nicht nur durch Rap- und Reggae-Einflüsse von den ander(e)n etablierten Männer-Punk-Bands wie Madsen oder Betontod ab. Auch über ihre Interaktion mit dem Publikum haben sie sich viele Gedanken gemacht und die Meer-Metapher von allen Seiten betrachtet.: Weil Björn Höcke gern ans Meer fährt, fordert Liedsänger Swiss das Publikum auf, dem Nazi ein Meer aus Mittelfingern zu zeigen. Weil Seenotrettung im Mittelmeer nicht kriminalisiert werden sollte, werden zwei Frauen in Rettungsbooten sicher von der Crowd zur Bühne gebracht – eine kriminelle Handlung, da das Crowdsurfing vom Veranstalter verboten wurde.
Trotz aller politischer Statements verzichteten Swiss und die Andern auf ihren wohl radikalsten politischen Song „Linksradikaler Schlager“. Stattdessen wurde ein brandneuer, politisch zwar sehr aktueller, aber nicht so kreativer Song gespielt. Der Chorus „Ich geh nicht an die Front / Lass uns lieber f*cken, bis ein Baby kommt“ kramt den altbekannten Hippie-Slogan „Make love, not war“ wieder raus und lässt alle Zuschauer*innen ohne gebärfreudige Freundin mit der Frage zurück: Und was mach ich?
Die österreichische Band Bilderbuch entführte das Publikum in eine exzentrische Klangwelt voller psychedelischern Bilder. Doch die anderthalb Stunden Stage-Time waren eindeutig zu lang. Zwar konnte die Band in den extravaganten Outfits mit Bangern wie „Bungalow“ und „Maschin“ begeistern,; die restliche Zeit war jedoch mit zu vielen Soli und langsamen Instrumental-Aufbauten gefüllt, denen es leider an „Punch” gemangelt hat. Für Hardcore-Fans der Band war der vorerst letzte Auftritt sicherlich ein Highlight.
Langeweile ließ Electric Callboy im Anschluss daran sofort vergessen. In einer banger-geladenen Show verwandelte die deutsche Band Bühne und Feld zu einer elektrisierten Tanzfläche. Mit ihrem Mix aus Techno und Metal prägt die Gruppe sogar ein eigenes Genre: Partycore. Und der Name war Programm.
Sonntag: Fotzenstyle und Feuerwerk
Ikkimel hatte am Sonntag wohl den meisten Spaß. „Highfield, du machst mich so geil“, verkündet die Begründerin des „Fotzenstyles” – Technobeats und Raptexte über radikale weibliche Selbstermächtigung. Wem das zu sexuell ist, dem antwortet Ikkimel mit rausgestreckter Zunge und ihrem Hit „JETZT ERST RECHT“. Und wem das zu sehr gefällt, warnt Ikkimel, indem sie erklärt: Nur weil sich jemand sexuell verhält, ist das noch lange keine Einladung zu irgendwas. Die Grenze ist zwar fein, doch die „allergrößte Fotze“ des Festivals ist sich sicher, dass jeder sie wahrnehmen kann.
Obwohl Männer in Ikkimels Texten nicht viel zu lachen haben, waren die Moshpits überfüllt mit sich gut amüsierenden Männern, denen Grenzen nicht bewusst waren. Da stellt sich die Frage: Ladies-Moshpit bei Madsen, Flinta*-Moshpit bei Paula Carolina – Warum kein Fotzen-Moshpit bei Ikkimel, wie von einigen Fans während des Konzerts gefordert? Es spricht für sich, wenn Männer, die Ikkis Texte mitgrölen und sich von der Matriarchin freiwillig auf der Bühne in einen Käfig sperren lassen, sich trotzdem im Moshpit nicht zu benehmen wissen. Um es also mit Mama Ikkis Worten zu sagen: „Schnauze halten, Leine an, Schatz, jetzt sind die Weiber dran!“ Nächstes Mal hoffentlich nicht nur auf, sondern auch vor der Bühne.
Im Anschluss an die von Ikkimel freigesetzte Euphorie brauchten Frank Turner and The Sleeping Souls etwas, um die verschlafenen Seelen im Publikum aufzuwecken. Aber nach einer Dosis Motivation und einem mit britischem Akzent vorgetragenen „Kein Bock auf Nazis“ gelang ein bewegter und zu Zeiten gefühlvoller Show-Mix aus Rock, Punk und Folk.
Als vorletzter Act des Festivals verstand Clueso es, das Publikum abzuholen und konnte den 1,5-Stunden-Slot gekonnter nutzen als noch Bilderbuch am Abend zuvor. In ausgelassener Stimmung performte er mit seiner Band vom Sonnenuntergang an hinein in die anbrechende Nacht und brachte diese mit einem großen Feuerwerk zum Leuchten – ein Markenzeichen des Sängers. Schon als Kind wollte der gebürtige Erfurter auf dem Highfield-Festival auftreten, erzählt er dem Publikum. Mittlerweile ist er fast ein Stammgast und gestand sogar mit einem Lächeln im Gesicht, dass er das Highfield als „sein Festival“ ansehe.
K.I.Z sorgte mit einer gewohnt starken Bühnenpräsenz und unbestreitbaren Hits als letzter Act für ein fulminant wildes Ende und ließ das erschöpfte Publikum die letzten Kräfte mobilisieren. Spätestens bis zum nächsten Highfield sollten alle aber wieder regeneriert sein.
Titelbild: Jonas Böhme


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