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  • Gentrifizierung und Geisterjagd

    „Altbau in zentraler Lage“ verbindet Gebärden- und Lautsprache in einer geisterhaften Geschichte über Freundschaft, Wohnungsnot und Zugänglichkeit.

    Das Stück „Altbau in zentraler Lage“ entstand als Auftragswerk für das Schauspiel Leipzig durch die Autorin Raphaela Bardutzky in Zusammenarbeit mit der tauben Schauspielerin Athena Lange. Es lebt vom Zusammenspiel von Laut- und Gebärdensprache, ohne diese ins Zentrum zu rücken. Stattdessen inszeniert die Regisseurin Salome Schneebeli einen Abend voller gewaltiger Bilder aus Licht und Ton.  

     Zoey (Paula Winteler) und Trisha (Athena Lange) sollen aus ihren Wohnungen vertrieben werden – nicht nur von einer Immobilienfirma, sondern auch von rachsüchtigen Gespenstern aus dem 19. Jahrhundert, die zu Lebzeiten ebenfalls von dort vertrieben worden. Mit schauriger Musik terrorisieren sie die Bewohnerinnen, wovon Trisha jedoch nichts mitbekommt, weil sie gehörlos ist. Sie spürt nur die Vibrationen des Technos, mit dem Zoey mitten in der Nacht die Geister vertreiben will. 

     Schon im Vorraum der Diskothek wird sowohl in Laut- als auch in Gebärdensprache kommuniziert – ein sonst seltener Anblick bei Theaterbesuchen hier. Beim Betreten des Zuschauerraums steigt direkt der Gestank der Nebelmaschine in die Nase. Es blitzt und donnert auf der Bühne, sodass der Boden vibriert. Ein kleiner Kubus dreht sich langsam im Kreis. Darin bewegen sich Zoey und Trisha in Zeitlupe durch die Räume: Ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Haltestelle. An der Haltestelle machen es sich die drei Geister (Samuel Sandriesser, Eyk Kauly und Sonja Isemer) bequem. 

    Über die nächsten anderthalb Stunden hinweg werden, zweisprachig, viele Geschichten erzählt. Von Menschen, die vor zweihundert Jahren aus ihren Häusern vertrieben wurden, von Menschen, denen heute das gleiche passiert, von Immobilienfirmen, die per Kernsanierung den benötigten neuen Wohnraum schaffen wollen, von plötzlich verstorbenen Hausmeistern und Geisterjägern. Die Themenvielfalt ist groß, was das Stück jedoch an einigen Stellen überladen und oberflächlich wirken lässt. (Gerade schauen wir noch dabei zu, wie Zoey und Trisha lernen, sich zu verständigen, da werden sie schon unterbrochen von den Geistern, die über ihre Vergangenheit erzählen als plötzlich die Immobilienfirma auftaucht und den Auszug fordert. In der nächsten Bühnenumdrehung sitzt nun der Hausmeister in der Küche, wird von den Geistern getötet, die ein paar Minuten später auch mit der aus dem Nichts auftauchenden Geisterjägerin Grace Lightly ihre paradimensionalen Spielchen treiben.)

    Für die Zweisprachigkeit werden verschiedenste Lösungen gefunden.

     Zoey und Trisha lernen sich kennen, als Zoey eines Nachts mit Techno-Musik die Geister vertreiben will und Trisha nebenan in ihrem Zimmer wegen der Vibrationen nicht schlafen kann. Liebevoll inszenieren die Darsteller*innen die Entwicklung einer Freundschaft zwischen ihren Figuren. In Zoeys Wohnzimmer taucht ein Plakat mit dem Deutschen Fingeralphabet auf und an Trishas Füßen die gleichen Dr. Martens wie die, die Zoey trägt. Die Gespräche zwischen den beiden werden für das gesamte Publikum verständlich gemacht, durch Zoeys anfängliche Pantomime, durch Gebärden, die sie im Laufe der Zeit einfließen lässt, oder durch Zettelbotschaften, die in Form von Übertiteln auf die Bühne projiziert werden. 

    Immer wieder tauchen zwischendrin die drei Gespenster auf, schleichen sich auf ihren Ballettschühchen in die Wohnungen, stiften Unordnung und rauben Zoey ihren Schlaf. Wenn sie in kryptischen Botschaften reden, dann immer so, dass eine*r von ihnen spricht und einer gebärdet. Diese Zweisprachigkeit fügt sich ganz natürlich in das Stück ein. Anders als die Gespenster selbst, die mit ihrer bizarren Körpersprache und ihrer schaurigen Musik immer wieder das Bild der warmen, aufkeimenden Freundschaft zwischen Zoey und Trisha stören. Das sorgt dafür, dass sie beim Zuschauen genauso lästig sind wie auch innerhalb der Geschichte für die beiden Hauptfiguren.  

    Wie elegant ein Stück zweisprachig funktionieren kann, ohne Gebärdensprache zum Hauptthema zu machen, zeigt sich auch in der Räumungsszene, in denen die Aufsichtspersonen Mrs. Honeycrunch (Michael Pempelforth und Athena Lange) und Mrs. Badger (Eyk Kauly und Sonja Isemer) von jeweils einer hörenden und einer tauben Person gespielt werden, die sich das Kostüm teilen. 

     Im Nachgespräch erzählt Matthias Döpke, dass am Probenprozess für das Stück insgesamt acht Gebärdensprachendolmetschende und zwei Deaf Supervisor beteiligt waren. Auch die Figur Trisha wurde von der Regisseurin Raphaela Bardutzky in Zusammenarbeit mit der tauben Schauspielerin Athena Lange erarbeitet. Er erklärt auch, dass sie für jede Szene eine eigene Übersetzung des Textes finden mussten. Was gespielt werden konnte, wurde nicht gesprochen. Die Schauspielerin Sonja Isemer ergänzt, dass bei den Proben anfangs zunächst herausgefunden werden musste, wo Dolmetscher*innen gebraucht werden. Wie leitet man Ansagen der Regisseurin an die Menschen hinter der Bühne weiter, wie funktioniert die Kommunikation zwischen den Spielenden? Dabei fanden sie schnell eigene Möglichkeiten und Wege. 

     Statt in der Themenvielfalt liegt der Erfolg des Stücks darin, zweisprachig zu arbeiten, ohne das ständig zum Thema zu machen. Und darin, das Theater zugänglicher zu machen. Eine Frau erzählt im Nachgespräch, dass sie das erste Mal mit ihrem Sohn in einem Theaterstück war, bei dem sie beide alles verstanden haben. „Das ist das erste Mal, dass wir das zusammen machen konnten, und das ist ganz schön besonders“, sagt sie. 

     

     

    Regisseurin: Salome Schneebeli 

    Eintrittspreis: 17€ Normalpreis, 12€ ermäßigt, 10€ Schüler*innen, Studierende und Azubis 

    Nächste Vorstellungen: 04.07.2025; weitere Termine in Planung 

     

    Fotos: Rolf Arnold

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