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  • 78° Nord

    Studieren zwischen Gletschern, Eisbären und Schneestürmen? luhze-Autorin Paula Busch schreibt über ihre Erasmus-Erfahrungen.

    Es ist ein wunderschöner Morgen in der nördlichsten ganzjährig bewohnten Stadt der Welt: Longyearbyen. In etwa 78 Grad nördlicher Breite scheint die Sonne seit dem Ende der Polarnacht am 15. Februar wieder auf den Fjord. Ihre Strahlen klettern die schneebedeckten Gipfel mit jedem Tag weiter herunter. Folgt man dem Tal weiter ins Inland, beginnen die beiden Gletscher Longyearbreen und Larsbreen. Über die Hälfte der Inselgruppe Svalbard ist vergletschert. Der Glaziologe Erik Schytt Mannerfelt beobachtet die Veränderung der Gletscher im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Er kehrt seit 2016 immer wieder hier her zurück. Ich darf hier in der Arktis für fünf Monate studieren, leben und mit ihm beobachten.

    Jagd und Erschließung
    Die Inselgruppe Svalbard umfasst über 400 Inseln, auf denen insgesamt etwa 2.400 Menschen wohnen. Im deutschen Sprachgebrauch wird Svalbard gemeinhin Spitzbergen genannt, was zugleich der Name der Hauptinsel des Archipels ist. Nach der Entdeckung der Inseln wurden hier Walfang, Robben- und Eisbärjagd betrieben. Es fanden Expeditionen statt und um 1900 begann die Bergbauperiode. Unter dem ewigen Eis von Spitzbergen und teilweise sogar direkt an der Oberfläche fand man einen großen Vorrat an „schwarzem Gold“. Spitzbergens geologische Historie begann vor etwa 550 Millionen Jahren nahe dem Südpol. Während der Reise in Richtung Norden entstanden die heiß begehrten Kohleflöze aus den tertiären Sümpfen. Longyearbyen, Spitzbergens Hauptstadt, ist eng mit der Kohle verbunden. 1906 wurde der Ort als „erste ständige Grubensiedlung“ gegründet. Seit 1993 besteht das Universitätszentrum Svalbard. Hier haben Studierende der Naturwissenschaften die Möglichkeit, Forschung zu betreiben und mit verschiedenen Messgeräten Erfahrungen in der arktischen Feldarbeit zu sammeln.

     Longyearbyen, Fjord

    Der Blick von der Uni in Longyearbyen über den Fjord im März ist atemberaubend. Vom Wasser des Fjords steigt Wasserdampf auf und bildet einen Teppich aus Nebel über dem Meer.

    Arktische Forschung ist gerade in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels von großer Bedeutung. Aufgrund der arktischen Verstärkung der Klimaerwärmung in den hohen nördlichen Breiten können Forschende vermehrt Extreme in Temperaturen und die damit verbundenen Veränderungen der Landschaft beobachten. Durch das verstärkte Tauen der Eiskappen wird an den dunkleren Oberflächen weniger Strahlung von der Sonne reflektiert, sodass sich die Oberflächen und ihre Umgebung stärker erhitzen. Das ist ein Teufelskreis, der die Erwärmung in der Arktis noch weiter beschleunigt.

    Steigende Temperaturen
    Das macht sich auf verschiedene Weise bemerkbar. Der Flughafen von Longyearbyen umfasst die längste Temperaturzeitreihe. Sie reicht zurück bis ins Jahr 1900. Ab 1980 wird ein klarer positiver Trend in der mittleren Jahrestemperatur verzeichnet. Von damals -7 Grad Celsius stieg sie bis 2010 auf etwa -3 Grad Celsius. Der Klimawandel wird auch in anderen Bereichen erkennbar. Die Forschenden zeichnen vermehrt Extremwetterereignisse auf. Im Januar 2012 zum Beispiel gab es im Winter starken Regen. Am 4. Juli 2016 wurden Teile der Insel überflutet. Die Landschaft verändert sich durch tauenden Permafrost. Boden rutscht aufgrund fehlender Festigkeit ab, es gibt Schlammlawinen. Ein neuer Temperaturrekord wurde im Juli 2020 mit 21,3 Grad Celsius gemessen.

    Zwei Rehntiere

    Rentiere in der Nähe des Wohnheims. Hier lebt eine spezielle Gattung Rentier, das Svalbardrentier.

    Mannerfelt beobachtet die Veränderung der Gletscher im Rahmen seiner Doktorarbeit. Dazu nutzt er zum Beispiel alte Fotografien, reist an die darauf abgebildeten Orte und vergleicht: „Der prozentuale Verlust der Eismasse ist mit etwa 15 Prozent in Svalbard geringer als zum Beispiel bei Schweizer Gletschern. Allerdings ist der absolute Eisverlust trotzdem größer, da wir hier einfach eine größere Gesamteismasse haben.“ Er stellt außerdem fest, dass einige Gletscher sich immer schneller fortbewegen. Noch ist er sich aber unsicher, was genau der Grund dafür sein kann.

    Liebe zur Natur
    Ich bin hier seit mittlerweile zwei Monaten. In der kurzen Zeit habe ich die Insel lieben gelernt. Die Sterne, Stürme und Polarlichter der dunklen Zeit werde ich nie vergessen. Die langsam aufgehende Sonne zum Ende des Februars, die die Landschaft in sanften Pastellfarben färbt. Die vielen süßen dicken Rentiere. Den Ort verlassen darf man nur mit einer Waffe zum Schutz vor Eisbären. Auf Gletschern droht der Absturz in Gletscherspalten oder Schmelzwasserkanäle. Von den Bergen können Lawinen abgehen.
    Der Alltag ist hier alles andere als normal. Es gibt Tage, an denen man nicht raus kann und sich im Ort ein wenig gefangen fühlt. Aber es hat bisher auch keinen Tag gegeben, an dem ein Spaziergang zum Wasser, zum eisigen Strand, nicht gegen jedes schlechte Gefühl geholfen hat. Alles hier ist wunderschön, vieles ist gefährlich. Jeder hier ist begeistert von beidem. Alle sind sich einig, sie wollen diese Umgebung erleben, erforschen und erhalten.

    Fotos: Paula Busch

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