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  • Mehr als nur ein Häkelprojekt

    Es war nie mein Plan gewesen, einen Freiwilligendienst im Seniorenheim zu leisten. Doch auch Zufälle schaffen wertvolle Erinnerungen, findet Kolumnist*in Kalina.

    Es scheint mir, als würden Jahre zwischen meinem Freiwilligendienst (FSJ) im Seniorenheim und meinem Umzug nach Leipzig liegen. Vielleicht liegt es daran, dass mein FSJ in eine Zeitspanne fällt, die anders als geplant ablief. Während mit dem Umzug nach Leipzig, ein langer geplanter Wunsch in Erfüllung ging.  Dabei sind seit meinem Umzug, nicht mal sieben Monate vergangen, seitdem ich das letzte Mal häkelnd mit Frau Müller (Name geändert) im ersten Obergeschoss des Seniorenheims saß.

    Mittlerweile erinnere ich mich gerne an diese Zeit zurück. Diesen Dienstag war ich in meinem Lieblingscafé, mit einer guten Freundin Kaffee trinken, als mir meine Häkelnadel aus der Hand viel. Suchend schauten wir uns einen Moment auf dem Boden um. Dabei musste ich wie so oft, wenn ich ein Häkelprojekt beginne, an Frau Müller denken.

    Frau Müller war eine der bezaubernden Bewohner*innen, die ich innerhalb meines Freiwilligendienstes im letzten Jahr kennenlernen durfte. Aufgrund ihres Alters litt Frau Müller an Demenz und konnte auch nur noch auf ihrem linken Ohr hören. Jedoch ließ sie sich davon nicht unterkriegen ihrer lebenslangen Leidenschaft nachzugehen. Jeden Tag saß sie auf ihrem Stuhl am Fenster und arbeitete an ihren Häkelprojekten. Dabei entstanden sehr individuelle Kunstprojekte, die für den Außenbetrachter, nicht immer ganz, zu identifizieren waren. Ihr ging es nicht um perfekte Häkelwerke. Im Vordergrund stand für sie der Spaß am Arbeitsprozess.

    Im Laufe meines FSJs brachte mir Frau Müller das Häkeln bei. Oft vergaß sie, dass sie mir Arbeitsschritte bereits erklärt hatte. Noch viel öfter hörte ich die gleichen Geschichten immer wieder. Wenn ich nicht so viel Zeit mit ihr verbracht hätte, wäre es mir vielleicht gar nicht aufgefallen. Denn zwischen bereits bekannten Erzählungen, tauchten auch mal neue Kapitel aus ihrer Lebensgeschichte auf. Während ich lernte zu häkeln, brachte mir Frau Müller auch bei geduldiger gegenüber meinen Mitmenschen zu sein.

    Koluminst*in Kalina erinnert sich gern an das FSJ. Foto: privat

    Häkelnadeln wurden zu meiner persönlichen Zeitmaschine. Sie erinnern mich daran, dass es wichtig ist sich Zeit für seine Mitmenschen zu nehmen. Aber vor allem auch mit einem offenen geduldigen Ohr, den Worten anderer Menschen zu lauschen.  Da wir nie wissen, welche Erfahrungswerte, uns auf unserem eigenen Lebensweg vielleicht weiterhelfen können.

    In der Zeit im Seniorenheim begegnete ich vielen älteren Menschen, die mich durch ihre unterschiedlichen Lebensgeschichten inspiriert haben. Ich begleitete manche Bewohner*innen, bis zum Ende ihres letzten Lebensabschnitts. Manche Bewohner*innen habe ich wohl das letzte Mal gesehen. Diese Erkenntnis macht all die Momente, die ich dort gesammelt, sehr wertvoll für mich.

    Mein FSJ im Seniorenheim behalte ich sehr positiv in Erinnerung. Ich habe unfassbar viele Erkenntnisse mitnehmen können, die mir auch noch jetzt in manchen schwierigen Momenten weiterhelfen.

    Nebenbei passierten oft auch sehr lustige Dinge, von denen ich heute gerne erzähle. Wer hätte gedacht, dass jemand im Alter von 107 Jahren noch einen Heiratsantrag bekommt!? Ich jedenfalls nicht. Es gab allerdings auch Situationen, die mir damals unangenehm waren. Heute erinnere ich mich gerne daran zurück, weil wir lange noch gemeinsam darüber lachen konnten.

    Mittwochs traf sich im Keller die eingeschworene Sportclique des Seniorenheims, zur Senioren-Gymnastik im Sitzen. Eines Tages hatte ich Lust mitzumachen, also setzte ich mich einfach dazu. Nicht dass ich völlig unsportlich wäre. In meiner Freizeit gehe ich gerne mal eine Runde joggen. Allerdings bin ich nicht gerade die dehnbarste Person. Trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass ich mit 20 Jahren Probleme dabeihabe, Übungen für Senioren auszuführen. Natürlich bekamen, dass die Sportskanonen mit. Die fanden das ganze Spektakel sehr lustig. Ich offensichtlich nicht. Nachdem Tag wurde ich des Öfteren darauf aufmerksam gemacht, dass oben gerade noch ein Zimmer frei wäre, ich sei ja im Moment auf WG-Suche. Ihre morgendlichen Medikamente vergessen die Bewohner*innen gerne mal, solche Ereignisse bleiben den Bewohner*innen gut im Gedächtnis.

    An das Lachen der Bewohner*innen erinnere ich mich gerne zurück. Auch wenn es nicht geplant war, dass ich 8 Monate einen FSJ im Seniorenheim leiste, bin ich glücklich

    darüber, dass es sich so ergeben hat letztes Jahr. Denn ich habe Erinnerungen und Erkenntnisse gesammelt, die ich jetzt sonst vermissen würde.

     

    Titelbild: Pixabay

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