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  • Der Rettungsring ist doch so nah

    Kolumnistin Isabella schreibt über ein Gefühl, das viele empfinden – auch wenn es sich anfühlt, als wäre sie damit allein.

    Bin ich eigentlich einsam? Ich denke oft darüber nach. Ich fühle mich zumindest oft einsam. Wenn ich allein zu Hause bin, oder wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, oder auch, wenn ich umgeben von Dutzenden anderen Studierenden in der Uni sitze. Diese Einsamkeit ist ein schweres Gefühl, grau und trostlos, und sobald sie auftaucht, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Ich habe doch alles, denke ich dann: Ich habe eine Familie, Eltern, Brüder. Ich habe Freund*innen und Bekannte. Ich kenne ganz viele tolle, herzliche, einfühlsame Menschen, aber kann ich mit denen reden? So richtig reden? Über das, was mich bewegt? Über meine Sorgen, meine Ängste, meine Probleme? Das Gefühl habe ich oft nicht. Liegt es an mir? Bin ich einfach zu verklemmt, oder nicht offen genug? Irgendwas stimmt nicht mit mir, denke ich dann oft. Irgendwas mache ich falsch. 

    Dabei bin ich bei Weitem nicht die Einzige, der es so geht. Laut einer Studie des Deutschen Bundestags von 2021 fühlte sich jede*r Zehnte der Befragten einsam. Die Zahlen bezogen sich dabei auf 2019 – durch Corona sind sie seitdem sogar noch gestiegen. 

    Portrait Isabella

    Ein Lächeln kann schnell darüber hinwegtäuschen, wie einsam sich Menschen tatsächlich fühlen. Foto: Isabella Klose

    Einsamkeit ist ein subjektiv empfundenes Gefühl, betont der Deutsche Bundestag. Natürlich weiß ich das. Ich bin nur nicht sicher, ob es die Sache besser oder schlechter macht. Rein objektiv betrachtet bin ich nicht allein, im Gegenteil. Aber hilft das jetzt? Irgendwie ist es eher noch bedrückender, zu wissen, dass es um mich herum so viele Menschen gibt, mit denen ich alles Mögliche teilen könnte, es aber doch nicht schaffe. Als würde ich im Meer der Einsamkeit ertrinken, und direkt vor mir schwimmt der Rettungsring, doch so sehr ich mich auch bemühe, ich kann ihn einfach nicht erreichen. Und dann denke ich, dass dieses Meer der Einsamkeit doch eigentlich gar nicht so schlimm ist, dass es andere Menschen gibt, die viel größere Probleme haben: Krieg, Hunger, Armut, Terror, Diskriminierung. Mir geht es doch gut. Ich habe doch alles. Und plötzlich schäme ich mich für meine „subjektiv empfundene Einsamkeit“, die der Bundestag so vielen Menschen in Deutschland zuschreibt. 

    Vielleicht sollten wir Einsamen uns zusammentun. Unsere Einsamkeit teilen. „Zusammen ist man weniger allein“, gibt es da nicht so ein Sprichwort? Kann natürlich sein, dass das auch nichts ändern würde, denn allein bin ich ja ohnehin nicht. Wenn ich mich sowieso mitten in einer Menschenmasse einsam fühle, würde es dann etwas ändern, wenn die anderen in dieser Menschenmasse sich genauso einsam fühlen? Oder wären wir dann halt einfach zusammen einsam? Kann man überhaupt zusammen einsam sein, oder ist das schon ein Widerspruch in sich? 

    Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Einsamkeit ist so ein abstraktes, komplexes Gefühl, dass ich es nie richtig greifen kann. Fest steht: Allein damit bin ich nicht. Die Menschen werden immer einsamer, das ergeben zumindest Studien. Vielleicht ist es tatsächlich einen Versuch wert, sich zusammenzusetzen und darüber zu sprechen. Damit wir zusammen einsam sind und dadurch vielleicht sogar ein bisschen weniger einsam werden. 

     

    Titelbild: Pixabay

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