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  • „Schind di ned a so“

    Kolumnist Daniel begibt sich auf eine Reise in ein Lebenskapitel, das er eigentlich schon ausgelesen hat. Manchmal ist es blickerweiternd, Dinge nochmal zu lesen.

    Die Baustelle ist die Hölle, wenn mensch zwei linke, beziehungsweise rechte Hände hat. Was auf mich zutrifft. Das hat mich nicht daran gehindert, eine dreijährige Ausbildung in einem Handwerksberuf zu machen und danach noch eineinhalb Jahre als Facharbeiter tätig zu sein. Ich bereue das sehr. Es liegt nicht daran, dass die Arbeit als Zimmermann unbedingt schlecht ist. Es gibt viele Menschen, die diesen Beruf mit großer Leidenschaft ausüben. Aber für mich war die Leidenschaft nie da. 

     Als ich sechzehn war, riet mir ein Bekannter, ich solle eine Ausbildung in einem Handwerksberuf machen. Er sagte, dass ich zu viel grübeln würde. Und dass mir die Arbeit helfen würde. Und da ich mich selber null kannte, machte ich es genau so. Nach dem Abi begann ich meine Ausbildung. Es sollte ein Zwischenschritt vor dem Studium sein. Ich hatte irgendwie den Traum, mich mehr im Leben „zu verankern“, habe geglaubt, dass kontinuierliche Arbeit am eigenen Selbst so etwas wie eine Transformation bewirkt. Im Endeffekt habe ich mir selbst fast fünf Jahre meines Lebens gestohlen. Ich? Nein, von so etwas wie einem Ich konnte damals keine Rede sein. Ich war mega unsicher und von mir selbst entfremdet. Dabei gab es keinen Grund für etwaige Unsicherheiten bezüglich der Dinge, in denen ich gut war. Ich hatte mein Abi mit 1,4 hinter mich gebracht. Ja, den Abischnitt verschweigt mensch ja normalerweise, aber in diesem Kontext ist es sinnvoll, ihn zu nennen. Ich wusste eigentlich, was mir lag und tat dennoch, was mir nicht lag. Machte mir das Leben damit zur Hölle. Es verging fast kein Tag, an dem ich nicht angeschrien wurde. Mehrmals wäre ich fast ums Leben gekommen. Einmal wegen eines Fehlers eines Kollegen. Psychisch war ich total am Ende. Mein Gesichtsausdruck war ein konstantes vergrabenes Vor-Mich-Hinschauen. Ja, es gab schöne Tage. Ich hatte teilweise echt sehr liebe Kollegen. Einer meiner Meister hat mir immer wieder gesagt, dass ich nicht so viel auf einmal tragen soll, weil ich damit immer ausgleichen wollte, dass ich sonst so lange für Dinge brauchte. Draußen zu sein und sich körperlich zu verausgaben ist schön. Aber das genießen zu können war wirklich die absolute Ausnahme. Ich hätte jederzeit aufhören können. Ich hätte nein sagen können, als man mich damit beauftragte, ohne Schutzausrüstung mit krebserregenden Baumaterialien zu arbeiten. Warum habe ich es nicht gemacht? 

    Daniel auf einem Dach

    Auf dem Dach von Florian Silbereisen, falls den jemand kennt. Foto: privat

    Tatsächlich hat meine tiefe Unsicherheit viele Gründe. Ich will da nicht zu sehr ins Detail gehen. Jedenfalls habe ich circa zwei Jahre, nachdem ich auf dem Bau aufgehört habe (rausgeschmissen wurde – mit den Worten: „Es tut mir echt leid, du bist so fleißig und total nett“, by the way zum dritten Mal, immer mit ähnlicher Begründung), eine Therapie gemacht. Seitdem fühle ich anders, weil ich mich spüre. Und beginne jetzt, mit 26, nochmal ein neues Studium, weil der erste Anlauf, Jura, nicht meins war. Und manchmal denke ich an die Baustelle und frage mich: Warum hast du das gemacht? Es war selbst gewählt. Selbst gewählt? Ich glaube, dass ein Begriff wie Freiheit, den man, sobald es nicht mehr um äußere Zwänge geht, kaum noch definieren kann, unser Handeln als Menschen nur sehr unzureichend beschreibt. Und bin überrascht, wie wenig äußere Freiheit bringt, wenn man sie nicht nutzt. Müsste man doch, oder? 

     Ich denke, dass viele Menschen in ihrem Leben Kapitel haben, die sie selber geschrieben haben, viele Jahre lang vielleicht, und die sie am liebsten streichen würden. Und bei denen die Frage bleibt: Warum? Dabei fällt mir ein Bekannter ein, der mehrere Jahre lang in einer unglücklichen Beziehung war, obwohl er nach ein paar Wochen eigentlich spürte, dass es nicht funktionierte und Schluss machen wollte. 

     Das soll kein rein negativer Text werden. Ich habe immer noch alle meine Finger. Und eine Zeitlang war der Gedanke „Irgendwann ist sicher einer weg, wie bei fast all deiner Kollegen.“ völlig normal für mich. Uups, anscheinend wird es echt schwierig, an positive Dinge zu denken, wenn ich dieses Bau-Thema bearbeite. Meine Zeit dort, völlig sinnlos verbracht, weil ich, wie ich weiß, nie auf Dauer in diesem Beruf arbeiten könnte und daher auch mit dem Gesellenbrief nichts anfangen kann, meine Zeit dort ist ein sehr extremes Beispiel für das, was passiert, wenn Menschen aus Unsicherheit Dinge tun, die ihnen vermeintlich Halt geben. Es gab mir Halt, Tag für Tag zur Arbeit zu gehen und meine Unsicherheit bezüglich meiner Zukunft zu verdrängen. Fake-Halt. 

     Ich habe festgestellt, dass so vieles, was mir Menschen im Laufe meines Lebens geraten haben, falsch war. Ungefähr so alles, was ich über Zwischenmenschlichkeit gelernt habe. Oder Dinge wie: „Nimm kein Französisch, du packst die Aussprache nicht.“ – Hab ich dann nicht gemacht, aber zack, im mündlichen Englischabi hatte ich 15 Punkte. 

    Heute habe ich mich gefunden. Ich schreibe fiktionale und nonfiktionale Texte. Da kommt meine Kreativität voll zum Einsatz und das Gefühl, das ich dabei habe, lässt sich schwer in Worte fassen, es ist unglaublich. Und im Oktober fang ich mein Psychologiestudium an. 

     Wie gesagt, das soll alles in allem kein negativer Text werden. Ich habe das Gefühl, dass meine Art, meine Orientierungslosigkeit auszuleben, sehr extrem war. Und dass ich mit der festen Struktur, die ich mir gesucht habe, eine große emotionale Unsicherheit kompensiert habe. Ich glaube, dass eine hohe Anfälligkeit für das Gefühl von Unsicherheit oft mit einer erhöhten psychischen Grundvulnerabilität einhergeht. Aber die hat auch noch eine andere Seite: Ich kann mich so sehr an sogenannten Kleinigkeiten freuen. Gestern habe ich ein Flugzeug am Himmel gesehen: Es war so unfassbar schön. Für ein paar Momente empfand ich pures Glück, auch wenn ich lieber in einer Welt leben würde, in der weniger Flugzeuge rumdüsen. 

     Letztlich kann ich mit diesem Text nur eine Sache deutlich machen (hoffe ich): Wenn es dir keine Freude macht UND du keinen Sinn darin siehst, dann lass es. Ich sag mir das eigentlich vor allem selbst. Vielleicht hätte ich mir den Rat meines Kollegen besser zu Herzen sollen: „Schind di ned a so.“ Aus dem Bayrischen übersetzt heißt das: Mach dich nicht kaputt. 

     

    Titelbild: Zimmererinnung Rosenheim

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