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  • „Liebe in Zeiten der Zögerlichkeit“

    Andre Aciman, bekanntgeworden durch die Verfilmung seines Romans „Call Me By Your Name“, hat viel über die Liebe zu sagen. Dabei folgt er radikal dem Motto „Show, don’t tell“. 

    New York in einer Gegenwart vor WhatsApp. Die beiden Endzwanziger Clara und der namenlose Ich-Erzähler lernen sich auf einer Abendparty kennen. Sie stehen auf dem Balkon, blicken auf die nächtliche Stadt und sinnieren über das Leben. Irgendwann taucht Claras Exfreund auf, mit dem sie immer noch nicht so richtig auseinander ist. Das Kennenlernen Claras und des Erzählers nimmt davon unbeeindruckt seinen Lauf. Das klingt erst einmal nach einer schnurzlangweiligen, schmalzigen, rosaroten, dummdoofigen Liebesgeschichte.  

    Nicht jedoch, wenn sie von Andre Aciman kommt, der seit seinem sechzehnten Lebensjahr schreibt und dennoch erst mit sechsundfünfzig sein Romandebüt veröffentlichte, weil alles davor „practicing“ war, wie er sagt. „Acht helle Nächte“ tarnt sich als klassische Romanze und ist in Wirklichkeit ein Meister*innenwerk der Spannung, der Feinfühligkeit und des Wissens darum, wie kompliziert es in der Liebe sein kann. Denn einfach machen es sich die beiden emotional hochkomplexen Hauptcharaktere echt nicht. Clara hat sich immer noch nicht von ihrem Ex gelöst und der Erzähler wägt so ziemlich jeden Schritt, den er tut, genauestens ab. Genau daraus, aus diesem Abwägen, erwächst diese Spannung, die keine krassen Plot Twists braucht und eben nicht langweilig, sondern mit höchstem psychologischen Feingefühl dargestellt wird. Ein Thema, das den gesamten Roman durchzieht, ist die Ambivalenz zwischenmenschlicher Beziehungen, die ich als Leser währende der Lektüre ganz neu erleben durfte. Es gab diese Momente, in denen ich mir dachte: „Boah, Clara ist so toxisch.“ oder „Mein Gott, wie kann der Erzähler so berechnend sein.“. Und dann wünsche ich mir wieder so sehr, dass die beiden es schaffen, zueinander zu finden. Die Probleme zwischen Clara und dem Erzähler erwachsen letztlich aus einer Art beidseitiger Unsicherheit. Und daraus, dass sie sich eben trotz der gegenseitigen Anziehung nicht ganz sicher sind, wie echt ihre Gefühle sind.  

    Mit Andre Aciman wäre ich einfach gerne befreundet. Foto: privat

    Das Besondere an „Acht helle Nächte“ ist, dass der Funke wirklich überspringt: Und zwar zwischen mir als Leser und den Charakteren. Ich nehme dem Erzähler seine Gefühle, seine Anziehung zu Clara, von der ersten bis zur letzten Seite ab. Und auch all die Zweifel und die Ängste. Das ist es ja gerade, was weniger gute Lovestorys nicht schaffen.  

    Was das Buch zu einem besonderen Leckerschmeckerbissen macht, sind außerdem die Dialoge zwischen Clara und Mister Namenlos. Schonmal bei einem Date über Mathematik gesprochen? Nein? Nicht schlimm. Bei Andre Aciman funktioniert das einfach genial. Und macht Lust, zu lesen. Spaß ist das falsche Wort. Dafür läuft zu viel zu schief. 

    Irgendwas an diesem Buch ist einfach so verdammt echt. Was mir „Acht helle Nächte“ zeigt, ist, dass nicht die Geschichte selbst entscheidend ist, sondern die Art und Weise, wie sie erzählt wird: Wie nahe ich den Charakteren komme. Aciman bildet sehr viel Innenleben ab, sehr viele Gedanken, sehr viele feine Gefühlsnuancen. Das macht das tastende Kennenlernen zwischen Clara und dem Erzähler so spannend und lebendig – erlebbar. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das die Interaktion zwischen zwei Menschen so minutiös und zugleich so einnehmend schildert. 

    Während des Schreibens der Rezension habe ich das Buch nochmal aus dem Regal genommen und einfach zwei zufällige Seiten gelesen. Sofort war ich emotional total bewegt. Was ich gelesen habe, war so schön, so echt, löste sofort etwas in mir aus, das sich anfühlte wie Verliebtsein selbst. 

    Eine Frage lässt „Acht helle Nächte“ für mich dennoch offen: Muss es denn in der Liebe immer so kompliziert sein wie zwischen den beiden Protagonist*innen? Ist das nicht eher eine Art „Red-Flag“?  

    Was das Lesen für mich besonders aufregend gemacht hat, war, dass ich selbst einmal eine Erfahrung gemacht habe, die dem, was zwischen Clara und dem Erzähler passiert, sehr nahekommt. Das nochmal zu durchleben, war ambivalent. Weil es für mich am Ende leider mit Liebeskummer geendet hat. So ist auch dieses Buch für mich ambivalent und doch liebe ich es wie wenige andere.  

    Achtung: Vom Ende ist damit noch nichts verraten.  

     

    Grafik: Sara Wolkers  

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