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  • „Wir möchten den Ort so schnell wie möglich wiederbeleben“ Zu Besuch in Pödelwitz – Ein fast leeres Dorf voller Zukunftsvisionen

    Südlich von Leipzig steht das Dorf Pödelwitz leer, das einmal vor der Abbaggerung durch den Braunkohletagebau gerettet wurde. Nun soll es zukunftsweisend wiederbelebt werden.

    Laut rattert das Förderband unter der Brücke hindurch in Richtung Kraftwerk. Ansonsten ist bis zum Horizont nur eine riesige Grube zu sehen. Viele Erdschichten tief frisst sich das Loch in den Boden, der mit dünnem Grün bedeckt ist. Ein Bagger ist in der Ferne zu sehen und die Bundesstraße, die auf einer Art Damm durch das Abbaugebiet geführt wird. Wenn der Wind gut steht, sind die sieben Kilometer von Neukieritzsch nach Pödelwitz auf dem Fahrrad schnell überwunden. Der Ort liegt abseits der Bundesstraße auf einem ruhigen Zipfel Erde. Begrüßt werden Besucher*innen noch vor dem Ortsschild von frisch gepflanzten Obstbäumen. Der erste Eindruck der dahinterliegenden Häuser ist einladend, der zweite Blick lässt innehalten. Viele Häuser sind marode und hinter den Gardinen findet kein Leben mehr statt. Dafür sind alle Grundstücke mit unübersehbaren Schildern bepflastert: Privatgelände!. Darunter der Hinweis, dass Unbefugten der Zutritt verboten ist und Zuwiderhandlung verfolgt wird. Die Mibrag lässt grüßen. 

    Basketballkorb vor dem Bürger*innenhaus Pödelwitz
    Foto: M. A.

    In der Mitte des kleinen Ortes steht das Bürger*innenhaus des Vereins Pödelwitz hat Zukunft, in dem sich die Menschen vor Ort und ihre Unterstützer*innen gegen die Mibrag – eine Abkürzung für den Energiekonzern Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft – organisieren. Davor ein Basketballkorb versehen mit dem Spruch: „Der Kohle einen Korb geben.“ Drinnen befinden sich Tische und eine Handvoll Stühle, zahlreiche Poster an der Wand erzählen von den letzten Jahren des Pödelwitzer Widerstands. Ein halber Apfelkuchen wartet auf den passenden Augenblick. Franziska Knauer, kurz Franzi, gehört zum Vorstand des Vereins und ist selbst in Pödelwitz aufgewachsen. Sie kennt den Tagebau rings um das Dorf und erzählt, dass der Braunkohleabbau lange kein kontroverses Thema im Dorf war.  

    Widerstand im Großen

    Der Protest begann erst 2012, als die Mibrag mit der Stadt Groitzsch, zu der Pödelwitz als Ortsteil gehört, einen Umsiedlungsvertrag abschloss. Plötzlich bestand die Gefahr, dass der Energiekonzern das Dorf abbaggern könnte. Franzi erinnert sich daran, wie die Dorfbewohner*innen befragt wurden: Wer möchte das Dorf verlassen? Wer möchte bleiben? Wer ist noch unentschlossen? Am Ende entscheiden sich 80 Prozent der Menschen im Dorf dafür, zu gehen. Die Mibrag hat ein Areal erschlossen, auf dem sie neue Wohnungen oder Eigenheime beziehen können, und kauft ihnen dafür die Häuser und Höfe in Pödelwitz ab. Aber nicht alle gehen. Franzi und ihre Familie bleiben und werden im Widerstand aktiv. Die Initiative Pro Pödelwitz gründet sich mit dem Ziel der Erhaltung des Ortes. Ab 2015 erhalten sie auch Unterstützung aus der Klimabewegung, wie von Greenpeace oder dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland. In den Jahren 2018 und 2019 werden die Klimacamps Leipziger Land in Pödelwitz veranstaltet. „Ab dem Zeitpunkt war es nicht mehr aufzuhalten, dass Pödelwitz und der Widerstand deutschlandweit und sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurden“, erzählt Franzi. Und tatsächlich schlägt das Engagement der Menschen im Ort hohe Wellen. Zur Landtagswahl in Sachsen 2019 unterstützt die Partei Bündnis 90/Die Grünen den Kampf gegen die Abbaggerung und sorgt dafür, dass der Erhalt von Pödelwitz am Ende im Koalitionsvertrag steht: „Die Koalitionsparteien möchten den Ort Pödelwitz erhalten und die Inanspruchnahme der Ortslage vermeiden“, heißt es dort. Obwohl das weitere Vorgehen somit politisch entschieden ist vergehen nochmal zwei Jahre, bevor auch vonseiten der Mibrag zugesichert wird, das Pödelwitz bleibt. Und absolute Sicherheit werden erst die aktualisierten Braunkohlepläne bringen, auf die der Verein noch wartet. 

    Wimmelbild des Vereins Foto: Nadine Kradorf

    Fehlender Wohnraum

    Bei einem Spaziergang durch Pödelwitz fällt sofort die Dorfstruktur ins Auge. Es fehlt die lärmende Durchgangsstraße, stattdessen sind die Häuser kreisförmig angeordnet mit einem kleinen Dorfkern in der Mitte. Es ist wenig los. Bis auf zwei Menschen und einen großen Hund, die nach einem warmen Ort für ein abendliches Plenum suchen, sind die Straßen leer. Nur am Wagenplatz sind mehr Dorfbewohner*innen zu finden. Das ist eine grüne Fläche im Dorf, auf der kleine bunte Unterschlupfe stehen, die aktuell etwa zehn Menschen einen Platz zum Wohnen bieten. „Das ist aber auch eine Struktur, die man mögen muss. Es ist kein fester Wohnsitz“, kommentiert Franzi. Daran mangele es in Pödelwitz, obwohl 80 Prozent der Häuser im Ort leer stehen. Aber weder eine Vermietung, noch ein Verkauf durch die Mibrag scheinen in absehbarer Zukunft infrage zu kommen. Etwa 30 Menschen seien dauerhaft im Ort gemeldet, sie verteilen sich auf die wenigen Grundstücke, die nicht der Mibrag gehören. Das Kraftwerk Lippendorf solle noch bis 2035 in Betrieb bleiben und so lange werde sich an der Lage der Häuser im Ort nichts ändern, wie die Dorfbewohner*innen berichten. Bis dahin seien diese aber längst so marode, dass eine Neuparzellierung wahrscheinlich wäre, sagt Franzi. „Die Häuser stehen jetzt schon teilweise fast ein Jahrzehnt leer. Jeder Herbst und Winter, jeder Sturm und jeder Regen macht die Häuser schlechter, da die Bausubstanz einfach unglaublich leidet. Es gibt viele Häuser, an denen nur einzelne Dachziegel fehlen“ erzählt Franzi. Diese würden aber oft viel zu spät oder gar nicht ersetzt werden und so würde Wasser eindringen. Um die Verhandlungen um das Dorf zu beschleunigen, soll bald ein Konzept für die Dorfentwicklung erstellt werden. Ziel davon sei, laut Franzi, die Interessen der Mibrag als Grundstückseigentümerin, der Stadt Groitzsch als Kommune und die der Bewohner*innen des Ortes unter einen Hut zu bringen. Für die Menschen in Pödelwitz sei es ein positives Signal, dass Geld in eine politische Initiative fließen, an der sie auch selbst beteiligt sind. Schwierig sei aber wiederum der Umstand, dass zwar Geld für die Entwicklung eines Konzepts da sei, nicht aber für die Umsetzung. Trotzdem sieht der Verein viel Potential in der Initiative und setzt auf Dialog statt Konfrontation: „Wir sind jetzt an dem Punkt, dass wir nicht mehr gegeneinander arbeiten möchten, die Umsiedlung, die Abbaggerung, das Thema ist für uns durch. Wir wollen jetzt gemeinsam den Ort entwickeln und so schnell wie möglich wiederbeleben“, stellt Franzi klar. 

     Veränderungen im Kleinen

    Junge Obstbäume laden in den Ort ein Foto: M. A.

    Trotz des langen Weges, der noch vor den Menschen in Pödelwitz liegt, sind an vielen Ecken im Dorf schon Veränderungen zu finden. Gleich zentral liegt eine Grünwiese, die der Verein von der Stadt Groitzsch gepachtet hat und nun zu einem Kräutergarten mit Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten für die Dorfbewohner*innen umwandelt. Auch ein kleines Windrad soll bald aufgestellt werden und unter anderem das Bürger*innenhaus mit Strom versorgen. Nicht nur das Energiekonzept des Dorfes soll nachhaltig und regenerativ sein. Auch Wohnraum soll genossenschaftlich und bezahlbar verwaltet werden, eine Dorfkantine soll entstehen, in der mit Obst und Gemüse aus solidarischer Landwirtschaft gekocht werden kann, und in der die Menschen in ihrer Mittagspause zusammenkommen können. Pödelwitz soll ein Ort der Gemeinschaft und des Austauschs werden. Teil davon ist auch die Idee eines Wohnzentrums für Menschen mit Einschränkungen, die in die Betriebe und das Dorfleben mit integriert werden sollen. Eine Einrichtung, die im ländlichen Bereich Sachsens selten zu finden ist. Ein Piepen ertönt aus der Ferne. „Das ist der Bagger in der Grube“, erklärt Franzi. „Das Einzige, was wir hier im Dorf vom Tagebau mitbekommen.“ Vielleicht sind es gerade die Extreme, die Pödelwitz so besonders machen: Die Idee eines alternativen Dorfes als Antwort auf massiven Braunkohleabbau und die Realität, das ganze Dörfer verschwinden könnten. Die Menschen in Pödelwitz wollen mit ihren Ideen und Konzepten in die Region strahlen. Aber was, wenn der Plan nicht aufgeht und die Mibrag in ihrem eigenen Interesse die Häuser verwalten möchte? „Über ein Scheitern denken wir gar nicht nach“, sagt Franzi. „Wir sind ungeduldig, wir wollen loslegen. Man sieht, dass in Leipzig die Mieten durch die Decke gehen, bezahlbarer Wohnraum knapp ist und hier fast ein ganzes Dorf leer steht.“ Die frisch gepflanzten Obstbäume am Ortseingang stehen symbolisch für den Tatendrang der Bewohner*innen. Sie müssen gepflegt und geerntet werden und sollen einmal Teil eines Dorfes Pödelwitz sein.  

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