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  • Rassismusvorwürfe gegen Seminar zum Thema Alltagsrassismus

    Studierende haben Rassismusvorwürfe gegen ein kulturwissenschaftliches Seminar an der Uni Leipzig erhoben.

    Schon zu Beginn des Seminars „Alltagsrassismus? Geht Rassismus niederschwellig?“  gehen die Vorstellungen des Dozenten und einiger Studierender zum Seminar auseinander. Das Seminar wurde im Wintersemester 2022/23 im Studiengang Kulturwissenschaften angeboten. Der Dozent: Nils Franke, Historiker, Kulturwissenschaftler, Privatdozent an der Universität Leipzig und Wissenschaftlicher Berater am Erich-Zeigner-Haus.

    Laut der Beschreibung im Vorlesungsverzeichnis sollen sich die Studierenden mit nonverbalen und verbalen Auswirkungen von Rassismus auseinandersetzen, angefangen bei „direkter Abwertung von Menschen bis hin zu Microaggressionen“. Die Kritik reicht von der im Seminar behandelten Literatur über sonstige Referent*innen bis hin zur Person des Dozenten selbst. Eine Studentin, die anonym bleiben möchte, kritisiert, dass die Perspektive von Black, Indigenous and People of Colour (BIPoC), also nicht-weißen Menschen, bei der Konzeption des Seminars nicht berücksichtigt worden sei. Sie bemängelt, dass von Seiten Frankes weder BIPoC-Lektüre behandelt wurde noch BIPoC-Referent*innen eingeladen wurden: „Und auch der Dozent ist kein BIPoC.“

    Einige der Studierenden forderten daher bereits im Anschluss an die erste Seminarsitzung unter anderem eine Anpassung der Literaturliste. In den Augen der Studierenden sollte in einem Seminar über Alltagsrassismus auf Literatur zurückgegriffen werden, die aus der Betroffenenperspektive berichtet, also von BIPoC verfasst wurde.
    Zur Zusammensetzung seiner Literaturliste sagt Franke, es gebe keine Verpflichtung, paritätische Literaturlisten aufzustellen. Er sehe keinen Grund, bei der Zusammensetzung seiner Literaturverzeichnisse nach der Hautfarbe der Autor*innen zu fragen: „Das wäre absurd.“

    Außerdem hat Franke den Studierenden angeboten, die Literatur nach der Weihnachtspause selbst auszuwählen. Er betont, dass auch er eine referierende Person, die aus der Betroffenenperspektive lehrt, begrüßen würde. Er würde solch einen Input auch bezahlen, wenn die Studierenden so eine Person organisieren würden. Doch hier sehen die Studierenden die Aufgaben falsch verteilt. Literatur, Referent*innen und Studien zum Thema zu organisieren, sei nicht die Aufgabe der Studierenden, sondern des Dozenten.

    Doch bei der Literaturliste hört die Kritik der Studierenden nicht auf: Sie beschweren sich auch über den Umgang Frankes mit der Reproduktion von Rassismen. Dabei stören sich die Studierenden daran, dass der Dozent für die Bezeichnung nicht-weißer Hautfarben aus ihrer Sicht rassistische Begriffe verwendete. Außerdem kritisieren sie, dass er Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe bestimmte Eigenschaften zugeschrieben habe. Bemängelt wurde nicht nur die fehlende Triggerwarnung, sondern auch die Art der Vermittlung. Statt einer möglichst kurzen Umschreibung seien bekannte Rassismen in aller Breite wiedergegeben worden. „Ich finde es sehr komisch, dass er dieses Seminar anbietet und dadurch ja als Lehrender in der Expertenrolle ist und dann aber so einen Umgang hat, dass BIPoC sich gezwungen fühlen, das Seminar zu verlassen, weil sie sich unwohl fühlen“, berichtet eine zweite Person aus dem Seminar. Auch sie möchte anonym bleiben.

    Franke entgegnet diesem Vorwurf damit, dass es in der Wissenschaft unabdingbar sei, Originalquellen zu lesen, um historisch arbeiten zu können, und dass in solchen Quellen auch entsprechende Wörter vorkommen.

    Einige der Studierenden – darunter die anwesenden BIPoC – hatten das Seminar in der ersten Sitzung verlassen und besuchen es seitdem nicht mehr. Andere entschlossen sich erst nach mehreren Sitzungen, nicht mehr zu kommen, da sie den Anspruch an das Seminar nicht erfüllt sahen. Mehrere Studierende hatten sich nach der ersten Sitzung mit Vertreter*innen des Antirassismusreferats des Studierendenrats und der BIPoC-Hochschulgruppe zusammengetan und Franke in einem Gespräch dazu aufgefordert, Titel und Thema des Seminars zu ändern. Aufgrund seiner Arbeit beispielsweise im Erich-Zeigner-Haus sei er nach Ansicht der Studierenden zum Beispiel deutlich besser dazu befähigt, zu Rechtsextremismus zu lehren. Für eine Spezialisierung auf das Thema Rassismus halten sie ihn dagegen nicht für geeignet.

    Ein universelles Problem?

    Die Studierenden fordern von Franke auch, das Problem des strukturellen Rassismus vollumfänglich anzuerkennen. Dieser leugnet zwar nicht die Existenz von strukturellem Rassismus, sieht sich selbst jedoch nicht als Teil solcher Strukturen: „Eins der Missverständnisse ist, dass man glaubt, wenn man in der primären oder sekundären Sozialisation mit rassistischen Angeboten konfrontiert wurde, was faktisch der Fall ist, dass man dann auch zum Rassisten wird. Dann wären wir alle Rassisten.“

    Die Studierenden gehen nicht davon aus, dass man das Seminar entkoppelt von einer von strukturellem Rassismus geprägten Gesellschaft betrachten kann. Daher erarbeiteten Vertreter*innen der Studierendenschaft, des Fachschaftsrats und der Studierendenkommission der Kulturwissenschaften zusammen mit Vertreter*innen der BIPoC-Hochschulgruppe und des Referats für Antirassismus des Studierendenrats am 2. Dezember nach einem gemeinsamen Gespräch ohne Anwesenheit Frankes eine Stellungnahme, in der es heißt:

    „Wir haben uns darüber beraten, wie über Rassismus gelehrt werden kann und soll, und uns darauf geeinigt, dass strukturelle Probleme an unserem Institut und in der Wissenschaft im Allgemeinen angegangen werden müssen. Dafür haben wir erste Ideen gesammelt, die im weiteren Verlauf weiter ausgearbeitet werden sollen.“ Dabei sei es ihnen wichtig, zu betonen, dass sie Rassismus als ein strukturelles und institutionelles Problem betrachten, das nicht nur individuell gelöst werden kann.

    Was bedeutet überhaupt struktureller Rassismus?

    Die in Leipzig geborene Autorin Tupoka Ogette definiert strukturellen Rassismus in ihrem Buch „Und jetzt Du. Rassismuskritisch leben“ aus dem Jahr 2022 als einen Begriff, der „beschreibt, wie Rassismus in unseren gesellschaftlichen Strukturen verankert ist“. Diese Strukturen seien „aus historischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen erwachsen und äußern sich unter anderem durch die ungleiche Ressourcenverteilung sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Mittel“. Dabei nähmen die Strukturen Einfluss auf Individuen und Institutionen. Institutioneller Rassismus betrachte Rassismus „nicht als individuelles Fehlverhalten, sondern nimmt rassistische Normen und Praktiken öffentlicher und privater Institutionen genauer in den Blick“.

    Um solche Fragen geht es nicht nur im Kleinen, wie zum Beispiel im Rahmen des von Franke angebotenen Seminars. Auch mit Blick auf die gesamte Institution der Universität Leipzig stellt sich die Frage nach strukturellen Rassismen. Matthias Middell, Prorektor für Campusentwicklung, findet, der Begriff „struktureller Rassismus“ sei „zur Beschreibung der Universität nicht geeignet“: „Die Strukturen der Universität sind nicht rassistisch.“ Man müsse sich aber „aktiv und bewusst mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es auch strukturelle Diskriminierungen innerhalb der Gesellschaft gibt, deren Teil die Universität ist“. Dazu zählten „unreflektierte oder gar unbewusste Benachteiligungen bestimmter Personengruppen als Folge der Struktur unserer Gesamtgesellschaft“.

    Kalsoumy, Mitglied der BIPoC-Hochschulgruppe, widerspricht dieser Einschätzung: „Ja, es gibt strukturellen Rassismus an der Uni Leipzig.“ Dieser sei in der Besetzung der Dozierenden, den Inhalten von Lehrveranstaltungen und der Auswahl von Autor*innen für die Literaturlisten erkennbar. „Eigentlich in jedem Bereich, wie in der Gesellschaft auch.“

    Auch über den Umgang der Universität Leipzig mit Beschwerden über Rassismus sind Middell und Kalsoumy nicht einer Meinung. So erklärt Middell, dass „die große Bereitschaft, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen, dafür sorgt, dass zumeist schnell Diskussions- und Hilfsangebote unterbreitet werden.“ Nach seiner Beobachtung reagiere die „universitäre Gemeinschaft in aller Regel sehr sensibel auf solche Vorgänge und bietet den Betroffenen Unterstützung und Rückendeckung“. Er halte es für „angemessen, dass zunächst im jeweiligen Institut und in der Fakultät das Gespräch gesucht wird“.

    Kalsoumy kritisiert hingegen genau diesen Umgang mit Beschwerden. Sie sieht das Rektorat und die Gleichstellungsbeauftragten der Universität in der Verantwortung, gegen das Problem des strukturellen Rassismus anzukämpfen. Die BIPoC-Hochschulgruppe fordert daher ein verpflichtendes Antirassismustraining für Dozierende, ein festgelegtes Verfahren zum Umgang mit rassistischen Vorfällen und mehr Bemühungen seitens der Universitätsleitung, in Erfahrung zu bringen, welche Unterstützung Studierende im Umgang mit Rassismus brauchen.

    Diesen Kampf allein zu führen, sei für Studierende nämlich sehr schwierig, da er aus einer verschobenen Machtposition zugunsten der Dozierenden heraus passiere. Daher sei es auch manchmal nötig, in die Lehre einzugreifen, denn es gebe „Seminare und Vorlesungen, in denen immer noch aktiv das N-Wort benutzt wird, zwar im geschichtlichen Kontext, aber selbst da gibt es keine Einigung im Umgang“. Es sei wichtig, die Reproduktion von Rassismus aufzuarbeiten.

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