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  • Seid bitte mehr random

    Kolumnist Daniel philosophiert über seinen öffentlichen Tanzdrang.

    Du hast das Bedürfnis, dich rhythmisch zu dem coolen Lied zu bewegen, das du grade hörst? Tu es bitte nicht. Die Menschen werden dich für einen Psychopathen halten. Außerdem verstößt du gegen einen wichtigen Paragrafen des Jantegesetzes, das sich ein skandinavischer Schriftsteller mal ausgedacht hat. Er lautet: „Glaube nicht, dass du etwas Besonderes bist.“ Lebe deinen aufmerksamkeitssüchtigen Aktionismus bitte anders aus und belästige deine Mitmenschen nicht.

    Manchmal hab ich das Gefühl, dass viele Leute genau so denken, wie ich es eben beschrieben habe. Das ist natürlich Quatsch. Die meisten Menschen sind kuschelbedürftige, liebe Lebewesen.

    Aber ich glaube immer mehr, dass unsere Gesellschaft von einem ungeschriebenen Paradigma bestimmt ist: Fall nicht auf!
    Gleichzeitig werden Tik Tok und Youtube von Selbstoffenbarungscontent geflutet. Was ich gut finde. Die Flut spült das Alte weg. Seid bitte mehr random!

    Ich meine damit vor allem mich. Es gibt sicher viele Menschen, die es unangenehm finden, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, beispielsweise, indem sie in der Öffentlichkeit zu der Musik abdancen, die sie grade hören oder laut mitsingen. Aber was, wenn ich eigentlich den Wunsch hab, genau das zu tun und das Unwohlsein erst dadurch entsteht, dass ich der Einzige bin, der sich so verhält? Oder wie wär es damit, öfter Menschen anzuquatschen, die mensch nicht kennt? Auch ein zehnminütiges Gespräch kann den Horizont erweitern… Ich hatte mal eine halbstündige Unterhaltung mit einem Zimmerer auf Wanderschaft, mit dem ich mangels Mobiltelefon und festem Wohnort auf seiner Seite gar keine Freundschaft begründen konnte. Es hat mir mehr gegeben als so manche Bekanntschaft, die schon seit Jahren besteht und für die ich trotzdem sehr dankbar bin.

    Kolumnist Daniel tanzt wild in der Öffentlichkeit

    Auch ohne Publikum macht öffentliches Dancen Spaß.

    Ich frage mich, ob mein reservierter Gesamteindruck unserer Öffentlichkeit Folge dessen ist, dass die Menschen, die mich umgeben, das so wollen oder ob da auch viel Angst dabei ist. Vielleicht wünschen sich ja viele Leute eine Gesellschaft, in der eine offenere, entspanntere Atmosphäre herrscht. Wir sind auf einem guten Weg. Auch die vielen Demos, die stattfinden, sind für mich ein Zeichen dafür, dass Menschen ein Bedürfnis nach Öffentlichkeit haben. Und am Ende geht es gar nicht um Aufmerksamkeit, das ist nur ein Sekundäreffekt, es geht darum, die eigene Lebensqualität durch das Nach-Außen-Tragen der eigenen Emotionen zu verbessern und dadurch im Idealfall etwas Gutes entstehen zu lassen. Ich werde nie vergessen, wie der eine Dude, der mit seiner Familie an einer Straßenmusikant*innengruppen vorbeiging, einfach spontan mitgetanzt hat zu der Musik, die gespielt wurde. Der Dude war (vielleicht nur Zufall) eine BIPoC. Ich erlaube mir folgende Klischeebehauptung, die vielleicht gar nicht so viel Klischee enthält: Es gibt Kulturen, die in Sachen Offenheit der unseren, die sich durch die Globalisierung immer weiter ausbreitet, weit überlegen sind. Von denen wir vielleicht lernen können. Offenheit heißt ja nicht, dass zwischenmenschliche Grenzen wegfallen, sondern, dass mehr Interaktion stattfindet: In mir mit mir, weil ich meine Gefühle und Impulse stärker nach außen trage und damit auch automatisch mit anderen Menschen.

    Momentan zerfällt unsere Gesellschaft (die vielleicht schon zuvor zerfallen war und immer im Zerfall und im Entstehen ist, aber that’s another story) in Subkulturen, bei denen immer die Gefahr besteht, dass ein übertriebener Anpassungsprozess des Individuums gefordert wird, trotz aller Vorteile, die ich keineswegs in Frage stellen will. Ich glaube, dass das, was mir da auf dem Herzen brennt (aua!) in vielen Menschen brodelt, die mit dem Zusammenleben, das wir pflegen, unzufrieden sind. Ich könnte mir vorstellen, dass manche der abstoßendsten Fehlgriffe, die gerade im Zusammenhang mit dem Wunsch nach einer anderen Gesellschaft stattfinden und dann idiotische Konzepte wie den Nationalstaat zum Nonplusultra erheben, mit diesem Brodeln zusammenhängen. Achtung: Zusammenhängen! Ich habe nicht das geringste Verständnis für nationale Denkweisen.

    Jahrtausendelang gab es in der Philosophie und in der Psychologie ein Paradigma: Der Verstand bremst die Triebe, die Kultur formt das Individuum. Das ist alles schön und gut, aber ich hab das Gefühl, dass es in unserer Zeit wieder wichtiger ist, mehr den eigenen Impulsen zu folgen/vertrauen und dabei ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben, das über begrenzte Räume hinausgeht und über alle Grenzen hinweg (Nazis ausgenommen) funktioniert. Vielleicht gilt das auch nur für mich (was ich nicht glaube). Aber in diesem Fall verzeiht mir die Projektion 😉

    Aber wenn du das nächste Mal abdancen willst, weil du KIZ so abfeierst, dann tu es bitte auch im Bus. Bei den Texten würd ich je nach Lied entscheiden, ob du mitsingst ;D

     

    Fotos: privat

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