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  • Kreise und Krisen

    Linearität begegnet uns in allen Bereichen des Lebens. Kolumnistin Mara fragt sich, wie wir zyklusbewusster leben und Denkmuster rund um den weiblichen Zyklus neu aufgerollt werden können.

    Jeden Monat dasselbe. Eine kurze Nachricht, um sich zu vergewissern, dass sich auch bei meinen Freund*innen die Welt zusammenzieht und Zweifel unsere Gedanken einnehmen. Unsere unteren Rücken pflegen in dieser Zeit wieder mal eine enge Beziehung zu Thermacare-Wärmepflastern und Kirschkernkissen Ein wahrer Rückzug. Trotzdem macht sich gerade jetzt das Gefühl breit, bloß nicht alleine sein zu wollen.

    Die Krise: Prämenstruelles Syndrom oder kurz PMS. Das sagt sich so leicht, doch diese drei Buchstaben bedeuten viel zu oft Zäsur. Die Mischung davon, jeden Monat dasselbe zu erleben und trotzdem jedes Mal überrascht zu sein, wenn die Menstruation mit all ihren Symptomen vor der Tür steht, kann auf Dauer unendlich ermüdend sein. Auf dem Hoch der Hormone spielt der bevorstehende Winter keine große Rolle und die Leichtigkeit wirkt absolut. Beständig beschreite ich den Weg der vor mir liegt, fülle ihn mit Energie, Selbstakzeptanz und Liebe für die Menschen um mich herum. Doch alle einmal im Monat kommt dieser Moment,  der sich anfühlt wie zu schnell Inliner fahren. Alles spannt sich an und ich weiß, aus der Bahn geworfen zu werden, ist doch unvermeidlich. Wie konnte ich es nur vergessen, dieses abrupte Ende der Leichtigkeit und das allmähliche Verschwinden in eine andere  Absolutheit.  Mir stellen sich viele Fragen: Wenn wir unsere Lebensrealitäten kreisförmiger wahrnehmen würden, könnten wir dann überhaupt aus der Bahn geworfen werden? Wie könnte ein zyklusbewusstes Leben aussehen?

    Kolumnistin Maras Gedanken kreisen sich um zyklusbewusstes Leben und wie wir aus linearen Denkmustern rund um das Thema Menstruation ausbrechen können. Foto: privat

    Sich das vorzustellen, ist gar nicht so leicht, denn Linearität durchzieht alle Lebensbereiche. Es fängt damit an, dass wir kleine Kinder fragen, was sie einmal werden wollen. Wir widmen uns der ständigen Selbstoptimierung, um kapitalistisch geprägte Ideale zu erreichen, und in zwischenmenschlichen Beziehungen fokussieren wir uns oft auf den Anfang und das Ende, aber nicht auf die kleinen Gefühle von “Ich weiß nicht so richtig, was es ist”. Wenn mir meine Freund*innen sagen, dass selbst bei meinen persönlichen Baustellen alles ein Prozess wäre, suggeriert es mir doch oft ein Ankommen in der Zukunft.

    Ich verstehe schon, auf den ersten Blick scheint das die unausweichliche Perspektive auf unser Dasein als Menschen zu sein. Wir werden geboren, altern und sterben schließlich. Doch werden wir dazwischen nicht auch viele Male neu geboren und sterben (gerade als menstruierende und gebärende Menschen) nicht viele kleine Tode im Laufe unseres Lebens ? Nicht umsonst gibt es im Französischen doch auch die Redewendung “la petite mort” um das Gefühl nach einem Orgasmus zu beschreiben, oder?

    Mit Blick auf die Natur wird für mich schnell deutlich, dass Kreisläufe eigentlich die Grundlage jeden Lebens bilden und bei genauerem Hinsehen jegliche Linearität in Frage stellen. Dass Nesseltiere einen Großteil ihres Lebenszyklus in einem festsitzenden Stadium, dem sogenannten “Polypen” verbringen, stellt das Bild der sanft dahin-gleitenden Quallen auf den Kopf. Bei genauerer Betrachtung wird klar, wie wichtig jeder Teil dieses komplexen Lebenszyklus zur Fortpflanzung der Qualle ist und wie unterschiedlich die Anforderungen an das Leben in den verschiedenen Stadien sein können. Mich im Quallenstadium an den Polypen erinnern zu können und mehr danach zu leben, dass meine Bedürfnisse sich zyklisch verändern, gibt mir Kraft.

    Wenn ich ein Bewusstsein dafür aufbaue, dass ich irgendwann wieder am gleichen Punkt ankomme, kann ich mich in Zukunft besser auf ihn vorbereiten. Zyklusbewusstes Leben heißt, sich selbst und seine Bedürfnisse kennenzulernen, ihnen bewusst nachzugehen und all das Wissen dann zärtlich für die Zukunft zu verwahren, um immer wieder darauf zurückgreifen zu können. All diese Überlegungen sind für mich Grund genug, zu versuchen, auf individueller sowie kollektiver Ebene, lineare Prozesse ständig zu hinterfragen. Ihre vermeintliche Absolutheit ins Wanken zu bringen.

    Vielleicht auch, weil ich so gut darin bin, etwas anzufangen, und weniger darin, Dinge zu Ende zu bringen, hat Kreise ziehen für mich etwas Befreiendes. And what do we need more than this, fellow FLINTA* people? Eine Befreiung von heteronormativen Standards, damit wir gleichzeitig Zeit und Raum haben, um Alternativen zu schaffen. Angefangen mit der überflüssigen Tabuisierung der Menstruation, um Belastungen menstruierender Menschen sichtbarer zu machen.

    Ob ich bei den nächsten 324 Malen PMS, die mir noch bevorstehen, weniger überrascht sein werde – wer weiß das schon. Kreise in meinen Alltag zu integrieren, erscheint mir aber als sinnvoll. Wohin uns kreisförmiges Denken letztendlich führt, kann ich nicht sagen, aber vielleicht ist das auf der Kreisbahn auch nicht von großer Bedeutung.

    Foto: linselocke

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