Im Ramschladen der Erinnerungen
Die Januar-Ausgabe widmete sich dem Thema Erinnerungen. Dabei ging es auch um ostalgische Gefühle, deren Herkunft und wo sie in Leipzig zu finden sind.
Der qualmende Trabi, in dessen Tank alles Mögliche geschüttet werden konnte und der trotzdem fuhr, die lila geblümte Kittelschürze der Nachbarin oder die Hellerau-Kommode, die heute wieder alle in ihren Altbauwohnungen stehen haben möchten. All das sind Erinnerungen, die viele Ostdeutsche nach der Wiedervereinigung zuerst abstreifen wollten und später wiederentdeckten. Erinnerungen an eine Welt, die auch jene noch kennen, die sie nie erlebt haben. Nicht nur, weil die DDR nach der friedlichen Revolution im ostdeutschen Alltag nicht plötzlich aufgehört hatte zu existieren. Sondern auch, weil die anfängliche Scham darüber, ein Ossi zu sein, mit dem Ende der 90er Jahre langsam einem neuen Selbstbewusstsein wich.
Nach dem Mauerfall habe zunächst die Erinnerung an die DDR als Unrechtsstaat dominiert, erklärt der Kultursoziologe Alexander Leistner von der Uni Leipzig. „Das, was später als Ostalgie bezeichnet werden sollte, setzte mit dem neuen Jahrtausend ein“, fährt er fort. „Lebensweltliches Erinnern an die DDR gab es immer, wurde nun aber auch öffentlich dargestellt: in Filmen, Fernsehshows oder DDR-Museen.“ Das N‘Ostalgie-Museum in einem Hinterhof an der Nikolaistraße ist eines davon. Auf zwei Etagen stapeln sich in wandhohen Regalen Kinderspielzeug, Konserven und Kosmetik. Und damit auch ganz sicher jeder und jede seinen Fotoapparat oder ihr Moped wiederfindet, gibt es jeden Gebrauchsgegenstand auch gleich in allen erdenklichen Ausführungen. Fünf Suppenkellen, 50 Radios: Ein Erinnerungsexzess.
Nur eine Sache fehlt: Die historische Einordnung. Die Museumsleiterin Nancy Häger begründet das mit dem Wunsch der Besucher*innen, sich nicht mit den schweren Themen der DDR-Diktatur auseinandersetzen zu wollen: „Hier wird vom ersten Moped gesprochen, von der Kaffeemühle der Oma oder dem alten Schulbuch. In diesem Rahmen muss man nicht immer zwingend gleich noch über Planwirtschaft diskutieren. Das haben wir bewusst weggelassen. „Viele sagen beim Rausgehen, wie schön es war“, erzählt Häger. „Die finden es toll, dass ihnen nicht irgendwelche Themen aufgedrückt werden. Wir haben eher Flohmarktcharakter.“ Was während der ersten Ostalgiewelle noch von DDR-Bürgerrechtler*innen als diktaturverharmlosend kritisiert wurde, scheint heute normal. Leistner erinnert aber daran, dass mit der rückkehrenden Erinnerung an Produkte oder Musik aus der DDR nicht vergessen werden dürfe, warum diese einst verschwunden waren: „Die Leute haben die Ostprodukte mit der Währungsreform einfach nicht mehr gekauft. Der wirtschaftliche Zusammenbruch ist also nicht nur auf die Treuhand zurückzuführen, sondern auch auf individuelle Entscheidungen und Wertorientierungen in der ostdeutschen Gesellschaft.“
Vielleicht ist das nostalgische Erinnern an das Leben in der DDR gar nicht das Problem, wenn darüber die dunklen Seiten des Stasi-Staats nicht in Vergessenheit geraten. Häger sieht das nicht als ihre Aufgabe, da es dafür schon geeignetere Orte gäbe. Sie schaffe ein Angebot für jene, die einfach in ihren Erinnerungen schwelgen wollten. Leistner lobt dagegen die Erinnerungsvielfalt: „Es ist ja auch eine Stärke des persönlichen Erinnerns, zu sagen, ich fand furchtbar viel schlimm, hatte aber auch eine schöne Kindheit.“ Es war nicht alles schlecht, zumindest an der Ostalgie. Denn genau das ist gleichzeitig ihre Stärke und Schwäche. Mal bereichert sie augenzwinkernd das Erinnern an die DDR, mal macht sie mit vor Stolz geschwellter Brust vergessen, warum dieser Staat damals eigentlich unterging.
Foto: Maximilian Bär
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