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  • „Promotion ist eine Berg- und Talfahrt“

    In der Juli-Ausgabe von luhze sprachen sechs Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen über ihre Beweggründe zu promovieren.

    Die eine Promotionserfahrung gibt es nicht, aber was Promovierende eint, ist die Freiheit in ihrer Arbeit. Über die Beweggründe, Erfolge und Schwierigkeiten hat luhze-Redakteurin Adefunmi Olanigan mit sechs Promovierenden gesprochen.

    Theologie

    Thomas Linke trägt eine Mütze, die weder altmodisch noch hipp ist. Im weißen Hemd steht er vor einem grünen Eisenzaun. Dahinter Blätter von Bäumen: unter anderem Ahorn.Thomas Linke: „‚Achja Thomas, du wirst auch mal noch promovieren‘, sagte mir eine ehemalige Studentin in meinem Auslandssemester in Japan. Darüber hatte ich vorher noch gar nicht nachgedacht. Als ich daraufhin mit dem Gedanken spielte, merkte ich, dass ich, unabhängig vom Beruflichen, Bock dazu habe, mich für ein paar Jahre in ein Thema richtig reinzufuchsen.
    Ich promoviere in der systematischen Theologie und untersuche den Einfluss der USA auf Ernst Troeltsch, ein Theologe, den ich als Vordenker für das Religionsrecht in Deutschland begreife. Während meines dreijährigen Referendariats im Lehramt Geschichte und evangelische Religion habe ich mein Thema zusammengebastelt und konnte mich bewerben. Durch das Promovieren habe ich gelernt, Texte mit Exaktheit zu lesen und zu schreiben, im vollen Kontext. Das Schöne ist, dass man im studentischen Rhythmus und im Kosmos der Universität bleibt. Am meisten zu kämpfen habe ich aktuell damit, dass die Lehre unter Corona-Bedingungen mehr Zeit frisst als vorher. Die Promotion voranzubringen und nicht aus dem Blick zu verlieren, bei den 3.000 akuten Dingen, ist manchmal schwer.“

    Psychologie

    Hanna Stoffregen sitzt auf einer Brücke bei Nacht. Hinter ihr ein Fluss.

    Hanna Stoffregen: „Bereits in meinem Psychologie-Bachelor in Hamburg habe ich angefangen als wissenschaftliche Hilfskraft in der Forschung zu arbeiten. Hier und bei meinen Abschlussarbeiten im Bachelor und Master hatte ich geniale Betreuerinnen und durfte, ähnlich wie eine Doktorandin, meine eigenen Projekte bearbeiten. Das hat mir irre viel Spaß gemacht. Ich hatte lauter Erfolgserlebnisse, weil ich schnell viel Neues gelernt habe und ernst genommen wurde. Wissenschaft ist auch richtig cool. In der Psychologie hat man Kontakt zu Menschen, kann sich kreative Studien ausdenken, hat abwechslungsreiche Aufgaben und ist sehr frei, auch in den Arbeitszeiten. Damals war ich sehr idealistisch und wollte die perfekte Stelle finden und kam so nach Leipzig. Anfangs hatte ich vor allem ein Betreuungsproblem und habe mich sehr verloren gefühlt. Mein Fehler war es, mich zu wenig vor Ort am Institut zu engagieren und zu vernetzen. Dadurch bekam ich weniger mit. Corona hat den Fortlauf meiner Studie weiter eingeschränkt, da ohne Probanden das Vorankommen kaum möglich ist. Die Lockdowns gaben mir jedoch die Zeit, mich auf Alternativen zum Promovieren einzustellen.“

    VWL

    Christoph Mengs steht vor einem Gebäude, aucf welches die Sicht durch grünes gebüsch und Bäume versperrt wird.Christoph Mengs: „Ich bin studierter Geograph und Volkswirt und promoviere in der Volkswirtschaftslehre, im Bereich Finanzwissenschaften. Ich be­schäftige mich damit, inwieweit eine Flächeninanspruchnahme durch Siedlungen und Verkehr Folgen für die öffentlichen Haushalte der Länder und Kommunen in Deutschland hat. Das ist auch eine Umweltfrage. Kurz gesagt, hat sich meine Promo­tion einfach ergeben. Aber ich bin da schon sehenden Auges rein und würde auch jedem empfehlen, sich zu überlegen: Will ich das eigentlich, schaff ich das und unter welchen Bedingungen? Reich wird man nicht davon. Während meines Studiums war ich viel als wissenschaftliche Hilfskraft tätig. Das empfehle ich allen, die überlegen, in die Forschung zu gehen.
    Zum Ende meines Masters gab es einige Optionen für wissenschaftliche Mitarbeiterstellen inklusive Promotion. Am meisten gefällt mir, dass, egal ob Postdoc oder frisch nach dem Abschluss, sich alle auf Augenhöhe begegnen. Zudem die Freiheit, vieles selbst zu gestalten wie die Art der Bearbeitung konkreter Fragestellungen. Es ist möglich, sich immer wieder neu auszuprobieren oder vorhandenes Wissen zu vertiefen. Das ist für mich das Salz in der Suppe.“

    Mathematik

    Julien Lehnhardt sitzt auf einem Stuhl in einem Raum. Im Hintergrund steht ein Fernseher.

    Julien Lenhardt: „Ich promoviere in einer Mischung aus Meteorologie und maschinellem Lernen. Eigentlich habe ich in Frankreich Mathematik und Statistik studiert. Dieser Hintergrund ist in vielen Feldern nutzbar und ich wollte nicht theoretisch arbeiten, sondern mein Wissen anwenden. Noch vor Ende meines Masters bewarb ich mich beim europäischen, vernetzten Imiracli Projekt, ohne große Erwartungen. Richtig durchdacht habe ich das Ganze nicht. Aber ich mochte den interdisziplinären Charakter. Nach meinem Abschluss wollte ich unbedingt ins Ausland und der PhD bietet dazu eine gute Möglichkeit. Deutschland ergab sich im Rahmen des Projekts und dadurch, dass ich das Land und die Sprache kannte.
    Besonders genieße ich die Freiheit in meiner Arbeit. Zum Beispiel kann ich einer Idee interessehalber für drei Wochen nachgehen, auch wenn diese nicht zielführend ist. Andererseits muss man darauf vorbereitet sein, nicht immer produktiv zu sein und sich die Frage zu stellen: „Warum mache ich das hier?“ Im Vergleich zum Studium bevorzuge ich das Promovieren. Ich habe mehr Geld, mehr Zeit und kann mich mit den Themen beschäftigen, die mir gefallen.“

    Biophysik

    Sabrina Friebe steht vor der Silhouette des Hauptcampus der Alma Mater Lipsiensis.Sabrina Friebe: „Durch den Bachelor habe ich mich gekämpft und hätte mir da nicht zugetraut, einen Doktor zu machen. Im Master wurde es besser. Letztlich fand ich das Forschungsthema cool, die Promotion war zweitrangig und hat sich ergeben. Ich untersuche interdisziplinär eine Methodik, um Gewebe wie Schweineaugen langfristig auf Titanoxid-Nanoröhrchen am Leben zu erhalten. Das kann genutzt werden, um Tierversuche zu vermindern. Begonnen habe ich 2016 und brauche meiner Meinung nach schon fast zu lange, bedingt durch einige Rückschläge. Bei meinem ersten Thema ist zum Beispiel der Kooperationspartner finanziell weggefallen. Ich will nicht sagen, dass ich nichts mehr mit mir anzufangen wusste aber biologische Expertisen wären auf diesem Gebiet echt hilfreich gewesen.
    Aber ja, ich würde es wieder machen, vielleicht etwas geordneter. Die Freiheit zu haben, in andere Bereiche reinzuforschen, macht für mich Promovieren aus. Dadurch, dass man nicht Vollzeit angestellt ist, kann man sich ein spannendes Thema herauspicken und etwas Neues aufbauen.“

    Astrid Kupferer befindet sich vor einem verschwommenen Hintergrund.Astrid Kupferer: „In der Promotion beschäftige ich mich mit der Weiterentwicklung der Nanoröhrchen, wie Sabrina. Dabei verändere ich deren Oberflächen und charakterisiere diese und die Reaktion der Zellen und Gewebe darauf. Mir war schnell klar, dass ich gerne promovieren würde und es mir Spaß macht, in der Forschung zu bleiben. Schon vor dem Schreiben meiner Masterarbeit habe ich ein Exposé für ein Stipendium bei der Heinrich-Böll-Stiftung vorbereitet. Mein Forschungsthema habe ich mir in Absprache mit meinem Doktorvater selbst zusammengestellt. Meinen damaligen Zeit­plan konnte ich nicht einhalten. Zum einen ergaben sich immer wieder neue spannende Entdeckungen, zum anderen bekam ich während meiner Promotion ein Kind und war dadurch ein Dreiviertel Jahr weniger in die Forschung eingebunden. Eine Promotion ist eine Berg- und Talfahrt, man hat gute Phasen, manchmal funktioniert gar nichts, man bekommt dadurch aber neue Ideen. Außerdem lernt man wahnsinnig viel, sich selbst zu strukturieren und zu motivieren. Gerade planen Sabrina und ich den Forschungstransfer unseres Projekts in ein Start-Up.“

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