• Menü
  • Leipzig
  • „Wir brauchen viel Energie und Überzeugungskraft, um die Mehrheit der Bevölkerung auf diesem Prozess mitzunehmen“

    Im Vorfeld der Bundestagswahl interviewen wir die Direktkandidierenden aller im Bundestag vertretenen Parteien. Holger Mann tritt für die SPD im Leipziger Norden an.

    Die Bundestagswahl 2021 steht kurz bevor. Der Direktkandidat der SPD Holger Mann hat mit luhze-Redakteur Leo Stein über Klima, Kompetenzen und das Transsexuellengesetz gesprochen.

    Sie sind schon seit 2009 Landtagsabgeordneter in Sachsen. Wieso wollen Sie jetzt in den Bundestag?

    Zum einen, weil man sich von Zeit zu Zeit neue Herausforderungen suchen sollte. Vor allem, wenn man das Gefühl hat, dass man doch schon einiges geschafft hat. Aber in der Sache auch, weil ich inzwischen nicht mehr nur für Wissenschaft stehe, sondern auch für Wirtschaft und Digitalisierung. Und weil gerade bei den letzten beiden Feldern die maßgeblichen Ressourcen und Kompetenzen beim Bund liegen.

    Unterstützen Sie das Ziel der SPD, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen?

    Definitiv. Das ist schon ein ambitioniertes Ziel. Ich weiß, dass viele sagen, wir müssen jetzt noch schneller klimaneutral werden. Ich habe in meiner Zeit vor dem Mandat im Landtag im Leipziger Südraum gearbeitet. Dort war ich daran beteiligt aus einem ehemaligen Braunkohletagebau den heutigen Störmthaler See zu entwickeln. In der Zeit habe ich gelernt, dass man nicht nur Geld und Ideen braucht, sondern auch Zeit. Ich glaube, wir brauchen schon viel Energie und Überzeugungskraft, um die Mehrheit der Bevölkerung bei diesem Prozess mitzunehmen. Der hat ja nicht nur das Positive, dass wir das Klima schützen. Im Übrigen ist es nicht mit Deutschland getan. Wir sind nur ein Bruchteil derer, die Klimafolgen produzieren. Wir müssen den Leuten auch erklären, warum sie demnächst mehr für Energie zahlen, warum sie auf Dinge wie einen Urlaubsflug verzichten oder viel dafür bezahlen müssen und was mit den sich massiv verändernden Branchen passiert. Wir sind hier in Leipzig einer der Hotspots der Automobilindustrie. Es ist völlig klar, dass in kurzer Zeit keine Verbrennungsmotoren mehr gebaut werden. Das heißt, dass wir nur noch ein Drittel der Teile bauen müssen. Da hängt nicht nur die Endfertigung, sondern die ganze Wertschöpfungskette mit dran. Wenn wir es schaffen wollen, dass wir weiterhin nicht nur gute Arbeit bauen, sondern auch haben, dann sind das enorme Veränderungsprozesse.

    Wieso kann Deutschland nicht eher klimaneutral werden?

    Ich sage nicht, dass das nicht eher möglich ist. Wir haben aber mehrere Gefahren. Einmal, dass wir die politischen Mehrheiten dafür verlieren. Und dann, dass uns Billigkonkurrenz aus dem Ausland mit niedrigeren Industrie- und Umweltstandards unterläuft. Man kann natürlich hoffen, dass am leuchtenden Beispiel unseres Landes auch alle anderen Länder ihre Ziele 10 bis 15 Jahre vorziehen. Ich vermute aber, die Wahrscheinlichkeit, dass sie umstellen, ist viel größer, wenn wir diesen Wandel in Deutschland erfolgreich gestalten. Dann können wir Länder wie China oder Polen, wo noch jede Menge Kohlekraftwerke gebaut werden, davon überzeugen, dass unser Weg der richtige ist.

    Der Bund hat nur wenige Gesetzgebungskompetenzen im Hochschul- und Forschungsbereich. Was wollen Sie trotzdem auf Bundesebene durchsetzen?

    Was wir gerne vergessen ist, dass der Bund nicht gesetzgeberisch, aber in den Ressourcen die Musik macht. Wenn wir über Arbeitsverhältnisse reden, wird immer gesagt der Großteil der Finanzierungen der Forschungen seien mittlerweile Drittmittel. Das vergisst aber, dass von diesen Drittmitteln weit über 90 Prozent staatliches Geld sind. Das größte Mitspracherecht hat da der Bund, insbesondere über direkte Forschungsförderung. Da wird momentan viel Geld gegeben und gehofft, dass dann was draus wird. Es interessiert da leider niemanden, unter welchen Arbeitsbedingungen geforscht wird. Wir haben dort prekäre Arbeitsbereiche und einen nicht nur unfairen, sondern in Teilen respektlosen Umgang mit Leuten, die führend im Forschungs- und Innovationsbereich sind.

    Wie sieht es konkret beim Nachwuchs aus?

    Wir haben einen Wandel, dass die Nachwuchswissenschaftler zunehmend auch dafür verantwortlich sind, wie sie ihre Finanzierung gestalten. Und auch, wenn man mal schaut wie viele Promovierende mancher Professor, manche Professorin betreut, die selbst für ihre eigene Forschungsarbeit verantwortlich sind. Und, wenn man mal die Rechtslage weglässt, häufig auch noch zur Lehre einen riesigen Beitrag leisten. Ihnen dann mehr Mitsprache zu geben, das ist was nicht nur auf Landes- sondern auch auf Bundesebene bewegt werden sollte.

    Sie tragen ein nettes Regenbogenarmband. Am Samstag war in Leipzig der CSD, waren Sie da?

    Ja, ich war komplett da. Um 14 Uhr war Bühne vorgesehen, wo wir kurz Rede und Antwort stehen mussten. Habe ich auch gern gemacht, auch wenn klar war, dass da nicht jeder super happy ist, was wir in der letzten Legislatur des Bundestages geschafft und nicht geschafft haben. Und ich war da die ganze Parade unterwegs mit meinem Lastenrad. Also es war ein schöner Tag.

    Sie sprechen die letzte Legislaturperiode an. Es gab Entwürfe zur Reform des Transsexuellengesetzes der Grünen und insbesondere der FDP, die auch an den fehlenden Stimmen der SPD gescheitert sind. Warum hat die SPD gegen die Entwürfe gestimmt?

    Primär, weil wir zu diesem Zeitpunkt noch immer in Koalition waren und es noch diverse Projekte gab, die noch eine weit größere Wirkung hatten. Also ich habe das jetzt nur aus zweiter Quelle, aber offensichtlich war es so, dass die Union damit gedroht hat, dass es keine Verlängerung der Kurzarbeiterregelung gibt, wenn die SPD das mit durchstimmt. Dann kann man natürlich fragen, ob man das gegeneinander ausspielen kann. Wenn ich aber sehe, wie viele Menschen aus der Szene auch in Bereichen arbeiten, die auf diese Kurzarbeiterregelung existenziell angewiesen sind, dann entscheide ich mich eher für die Kurzarbeiterregelung. Dafür haben wir aber das Gesetz zum Thema Gleichstellung in Vorständen noch verbessern können und das Lieferkettengesetz durchgekriegt. Das sind allein drei Gesetze, bei denen mir klar war: Die mussten oder sollten noch kommen, weil sie wichtig sind. Ich weiß, dass ein Teil der Menschen in der Szene und natürlich vor allen Dingen Transmenschen sagen, ihr habt uns verraten. Das haben wir nicht getan, weil wir unsere Position nicht verändert haben. Sie steht deswegen auch wieder im Wahlprogramm. Wir wollen das Transsexuellengesetz lieber heute als morgen abschaffen und ein echtes Wahlrecht einführen.

    Es gehört eben zum politischen Spiel dazu, dass eine Opposition sich Sachen heraussucht, zu denen es in der Koalition Kontroversen gibt. In allen Koalitionsverträgen steht aber auf der letzten Seite „die Koalitionäre überstimmen sich nicht.“ Das heißt, entweder stimmen beide zu oder dagegen. Genau das ist bei den Entwürfen der FDP und der Grünen passiert. Da müssen wir abwägen, auch wenn es keinen Spaß macht. Deswegen gibt es einen Unterschied, ob du auf der Oppositionsbank sitzt und die reine Lehre predigen kannst oder als Regierung auch durch schmerzhafte Kompromisse Fortschritte erreichen kannst.

    Warum sollte man Sie als Direktkandidaten wählen?

    Also über sich selbst reden ist immer nicht so einfach. Ich würde sagen, dass ich das wofür ich stehe auch im politischen Handeln ausführe. Ich glaube es schadet auch nicht jemanden mit Erfahrung zu haben, der vielleicht auch mal Druck und Widerstände aushält. Im Bundestag ist es auch möglich, dass man als einzelner Abgeordneter gegen seine Fraktion stimmt. Da sind die Stimmen nicht so knapp wie im Landtag. Und auch so kann man eine andere Meinung dokumentieren und Diskussionen nachvollziehen. Und sonst, weil ich mir auch nach zwölf Jahren im Mandat die Eigenschaft erhalten habe, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, ernst zu nehmen, was die mir sagen, und ich den Anspruch habe zu überprüfen, ob das, was wir da gesetzgeberisch tun, vor Ort funktioniert und dem entspricht, was die Menschen in meinem Wahlkreis wollen. Das ist das Angebot, das ich machen kann. Alles andere ist bei einem Bundestag, der irgendwo zwischen gerüchteweise 700 und 900 Mitgliedern einschlägt, vielleicht ein bisschen zu viel versprochen.

    Foto: Team Holger Mann

     

    luhze hat alle Direktkandidierenden zweimal kontaktiert. Paula Piechotta, Peter Jess und Siegbert Droese haben uns keine oder nur verspätet Termine vorgeschlagen, weshalb mit ihnen keine Gespräche stattfinden konnten.

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    “Dem Klimawandel hilft es nicht, wenn wir nur mit gutem Beispiel vorangehen”

    Im Vorfeld der Bundestagswahl interviewen wir die Direktkandidierenden aller im Bundestag vertretenen Parteien. Jessica Heller tritt für die CDU im Leipziger Süden an.

    Bundestagswahl 2021 Leipzig | 30. August 2021

    „Wir müssen uns daran orientieren, was wir zum Leben brauchen“

    Im Vorfeld der Bundestagswahl interviewen wir die Leipziger Direktkandidierenden aller im Bundestag vertretenen Parteien. Nina Treu tritt im Leipziger Norden für die Linkspartei an.

    Bundestagswahl 2021 Leipzig | 26. August 2021