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  • Alltägliche Abenteuer eines Freizeitgärtners

    Die Gartensaison 2021 ist nun schon einen Monat alt. Der grüne Daumen juckt wieder. Für Kolumnist und Freizeitgärtner Johannes ist es wieder Zeit für ein paar grüne Projekte.

    Es ist der 13. Februar des Jahres 2021. Weil ich mal wieder raus muss, mache ich mich spontan auf eine kleine dreieinhalbstündige Wanderung. Es ist früh und noch dunkel. Warm eingepackt in Alpenstiefel und Skikleidung stapfe ich durch den Tiefschnee. Die Rekordmassen haben vorübergehend ganz Leipzig lahmgelegt. Ich genieße die ruhige und saubere Atmosphäre, die das weiße Puder zaubert. Es sind 15 Grad unter null. Die Feuchtigkeit meines Atems gefriert an meinem Bart.

    Eine Woche später. Kurzärmlich, in Shorts und barfuß nutze ich das vollsonnige Frühsommerwetter für ein genüssliches Workout auf dem lokalen Trainingsplatz. Es sind 15 Grad im Schatten.

    Kolumnist Johannes mag Blumen.

    Wenn ich heute auf diese und ähnliche Temperaturschwankungen des laufenden Frühjahrs zurückblicke, wundert es mich nicht, dass sich die Zwerg-Iris und Schachbrettblumen in meinen Blumenkästen nicht zwischen Austreiben und Verwelken entscheiden können. Es könnte natürlich auch daran liegen, dass ich eine Feuchtwiesenpflanze und ein Hochgebirgsgewächs des Kaukasus kombiniert habe. Dafür wachsen die Tulpen meines mobilen Minigartens um die Wette und versprechen eine reiche Blüte.

    Auch die Hornveilchen haben sich vom Schnee nicht beeindrucken lassen. Seit dem Herbst blühen sie fast ununterbrochen auf der Außenfensterbank. Wenn man genau darauf achtet, bemerkt man den zarten blumigen Duft, der bei geöffnetem Fenster in die Wohnung zieht. Hummeln und Bienen fliegen unentschieden zwischen den über 100 Blüten hin und her. Wie Actionhelden hängen sie an den dünnen Kronblättern und sammeln den goldenen Nektar. Wenn ich einer Hummel von meinem linken zum rechten Fenster folge, sieht es so aus, als wollten sie Fangen spielen. Vielleicht macht sich bei mir auch der Mangel an echten sozialen Kontakten bemerkbar.

    Für die neuen Projekte brauche ich ein paar Zutaten. Vier Zweimeterdreißig lange Holzstäbe, Saatgut, Pflanzen, Blumentöpfe und natürlich Erde. Meine Jagd nach Schnäppchenblumenerde führt mich auf meine erste Baumarkttour. Ich kaufe 100 Liter Blumen- und etwas Orchideenerde. Während ich die Erde in meine Taschen umpacke, hinterfrage ich die Idee, mit dem Fahrrad gekommen zu sein. Als ich mich aufs Fahrrad schwinge, entscheidet sich der 50 Liter Sack in der linken Tasche ohne zu zögern nach außen abzuknicken. Also nochmal von vorne. Diesmal scheint es zu funktionieren. Beschleunigen und Bremsen ist so eine Sache. Aber wenn man einmal schnell fährt, schwankt es nur noch ein kleines bisschen. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mutterbodeneinkauf trotzdem wieder das örtliche Carsharingunternehmen unterstützen.

    Da sich für den Transport der übermannshohen Tannenspeere weder das Fahrrad noch die Fahrzeugklasse „Mini“ eignen, mache ich mich am Wochenende auf einen frühmorgendlichen Sparziergang zum Baumarkt Nummer Zwei. Zusätzlich kaufe ich noch ein paar Pflanzen. Erdbeeren, Salatpflanzen und weil es trotz Maske gut riecht, ein Vanillebasilikum. Bei der Gärtnerei gegenüber kommen noch zwei Schnittlauchpflänzchen dazu. Mit vier ellenlagen Fichtenlatten über der Schulter und einer Tüte voll Gras in der Hand mache ich mich auf den Heimweg.

    Auf meinem Regal steht eine Efeutute. Ich habe sie letztes Jahr von meiner Großmutter geerbt. Die ursprünglich buschige Pflanze präsentierte sich nach einer genaueren Inspektion eher wie die Frisur einer Dreijährigen, die seit einer Woche keinen Kamm mehr gesehen hat. Mit viel Geduld habe ich drei mehr als zwei Meter lange Ranken zum Vorschein gebracht und mit Strippe zum Kleiderständer gespannt. Da dieser jedoch nicht meine Körpergröße überschreitet, habe ich mir eine Art Headbanging-Bewegung angewöhnt, wenn ich unter den Ranken durch laufe. Zumindest nachdem ich ein paarmal grün gesehen hatte. Mit den Stäben möchte ich jetzt die Kronenschicht meines Zimmerwaldes nach oben verlagern. Dazu befestige ich zwei der Latten an meinem Kleiderständer. Die anderen beiden binde ich an den Europaletten hinter meinem Bett. Neben den zwei Armen, die zum Kleiderständer greifen, spanne ich jetzt noch eine Ranke über mein Bett. Beim Springen auf meiner Matratze sollte ich jetzt wohl vorsichtig sein.

    Der Indoorjungle ist jetzt wieder bewohnbar. Zeit nach draußen zu gehen. Meinen mobilen Minigarten möchte ich um zwei Gemüsekästen erweitern. Die preiswerte Erde riecht diesmal tatsächlich nach Erde. Ich fange mit pflegeleichten Pflanzen an. Zum einen eine Pflücksalatsaatmischung, die man als Baby Leafs ernten kann. Salat war mir besonders wichtig. Die Salatköpfe- und Packungen aus dem Supermarkt sind für mich als Einzelperson immer zu groß. So kann ich immer nach Bedarf einzelne Blätter für das Sandwich oder den Burger ernten. Da Geduld in Pandemiezeiten genauso rar ist wie die Blutspendereserven, habe ich mir noch Salatpflanzen gekauft, um die Ernte etwas vorzuziehen. Vorziehen braucht man Radieschen zum Glück nicht, zumindest, wenn man die richtige Sorte wählt. Sie säe ich neben der Erdbeerpflanze „Korona“ und dem Schnittlauch aus. Hinter den Salat kommt noch das Vanillebasilikum. Letzteres fällt direkt einer Frostwelle zum Opfer.

    Zwei der Hornveilchen in meinen Blumenkästen haben sich entschieden einzugehen, statt für meine Insektengäste und mich zu blühen. Ganz beleidigt tausche ich sie deswegen gegen eine weitere Schnittlauchpflanze und eine Hänge-Erdbeere aus. Den Schnittlauch, damit ich beim Kochen nicht die Wohnung verlassen muss und die Erdbeere für den Fall, dass die Nachbarskinder von der anderen Erdbeere naschen. Die grüne Seele gezähmt, lehne ich mich zurück und hoffe auf eine Zeit, in der ich meine fast 100 Schützlinge mal wieder echten Menschen zeigen kann.

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