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  • Das Richtige studieren?

    Vor viereinhalb Jahren stand Kolumnist Franz vor der großen Frage, die sich jetzt auch seine Schwester stellt. Studieren ja, aber was, wo und wie?

    In den letzten Wochen stellte mir meine Schwester vermehrt Fragen zu Studienthemen, zum Beispiel: „Warum studierst du in Leipzig?“. Meine Antwort darauf ist mehrgliedrig. In einem mittelgroßen thüringischen Städtchen aufgewachsen und zur Schule gegangen, sehnte ich mich nach einem urbaneren Umfeld. Wenn die Stadt, in der Mensch wohnt, bei jeder Strukturreform um die Kreisfreiheit kämpft, schweißt das zusammen, aber das Flair des Provinziellen wird greifbar. Leipzig ist groß, die größte Stadt des Ostens. Leipzig hat Prestige: Messestadt, Bundesverwaltungsgericht, Thomanerchor, Gewandhaus sind nur einige Schlagwörter. Vor allem aber hat die Stadt Geschichte. In Leipzig kannte ich zudem schon Menschen, ein Freund und eine Cousine wohnten bereits dort. Und Leipzig hat die Uni!

    Kolumnist Franz von hinten, das Foto ist schwarzweiß, er sitzt auf einer Bank und liest eine Karte

    Kolumnist Franz sucht den Weg durchs Studium.

    Eine Universität, die nicht nur durch ihre futuristische Silhouette besticht, sondern auch durch ein riesiges Studienangebot. Es gibt ungefähr 63 grundständige Studiengänge und eineinhalbmal so viele weiterführende Programme. Wie sollte ich hier auswählen? Ich wollte etwas Spannendes studieren, wichtig sollte es sein, meinen Horizont erweitern und die Welt zu einem besseren Ort machen. Damals war mein Erkenntnis- und damit auch mein Studieninteresse zweigeteilt. Einerseits wollte ich Weltverständnis gewinnen. Es ging mir darum Netzwerke, Regeln und Player des großen Ganzen zu verstehen. In meiner Unwissenheit kurz nach der Schule dachte ich, dass könnte mir durch ein Studium der Politikwissenschaft, Ethnologie oder Wirtschaftswissenschaften (Wiwi) am besten gelingen. Andererseits interessierte mich die individuelle Motivation, die menschliche Psyche. Wer sich schon mal auf einen Psychologiestudienplatz ohne Spitzenabitur beworben hat, kann nachvollziehen, warum ich nicht Psychologie studiere.

    Acht Semester Wirtschaftswissenschaften haben mich in Bezug auf diese hehren Ideale geerdet. Aber damals war ich weit davon entfernt mir eine Zukunft als Ökonom auszumalen.

    Mein erstes Semester war aufregend. In den sich so sehr von einander unterscheidenden Lehrveranstaltungen habe ich mich elitär und interdisziplinär gefühlt. Es war damals eine große Hilfe bei ersten Gesprächen auf die Frage „Und was studierst du?“ nicht unmittelbar Wiwi sagen zu müssen. Ich konnte dieses Fach am Ende der Aufreihung nennen, nach dem Geschichtsbachelor mit Nebenfach Ethnologie. Anfangs nahm ich den Begriff Doppel-Bachelor zu wörtlich. Kaum ein Mensch schafft zwei volle Studiengänge in der einfachen Zeit. Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen werden einwenden, dass Wahlbereiche gegenseitig aufeinander angerechnet werden können. Das ist in den meisten Bachelor of Science, wie auch Wiwi einer ist, tatsächlich nicht möglich. Da gibt es kein Wahlfach. Es kam, wie es kommen musste. Jedes Semester aufs Neue wählte ich zu viele Module und bestand zu wenige, jedes Wintersemester wechselte ich das Fach meines Zweit-Bachelors. Ich war in Philosophie und Geographie eingeschrieben, jetzt gerade in Wirtschaftsinformatik. Treu blieb ich nur der Wirtschaftswissenschaft. Die Begründung dafür ist kompliziert und würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen. Jedenfalls werde ich in 90 Prozent aller Fälle nicht gefragt, was Mensch mit einem Wiwi-Studium mal machen kann. Sondern mein Gegenüber nennt mögliche Berufe von sich aus. Kommiliton*innen anderer Fachrichtungen in einer anderen Version dieser Situation beneide ich nicht.

    Meine Schwester hat dieses Jahr die Schule mit dem Abitur abgeschlossen. Bevor sie ab Herbst 2021 studieren möchte, macht sie gerade ein freiwilliges soziales Jahr. Die Zeit nutzt sie zur Orientierung im Dschungel der Studienmöglichkeiten. Der Gedanke, dass sie kurz vor demselben Lebensabschnitt steht, in dem ich mich befinde, fühlt sich noch unvertraut an. Sie hat jetzt eine lange Wunschliste. Ich freue mich, dass sie mit mir darüber spricht und ich ihr auch den ein oder anderen Hinweis geben kann – zum Beispiel dazu, was Modulhandbücher sind oder bei wem Mensch nachfragen kann. Ich hoffe, dass sie als zweite Studierende aus unserer Familie ein realistischeres Bild vom Studium hat.

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