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    Beim Scrollen durch Soziale Medien fällt Kolumnist Johannes auf, dass wir als Nutzer eine größere Verantwortung haben, als er gedacht hatte.

    Ich liege im Bett. Ich habe ein Nackenkissen unter meinem Kopf, damit es nicht so anstrengend ist, aufs Handy zu starren. In meinen Händen halte ich mein Smartphone. Wenn ich es fallen lasse, dann werde ich das schmerzhaft merken, aber noch habe ich es sicher zwischen den Fingern. Meinen Plan für morgen habe ich aufgeschrieben, WhatsApp-Nachrichten und Mails gecheckt und beantwortet. Jetzt scrolle ich durch Instagram. Auf meinem privaten Account habe ich alle Posts von Freunden und „Bekannten“ gesehen, bin sogar durch die meisten Storys durch, ein Erfolg, den ich wahrscheinlich nur aufgrund der Coronakrise erreiche. Auf meinem zweiten Account wische ich mich jetzt durch Comics, professionelle Hobbyfotografen, Celebrities und Nachrichtenseiten. 

    Der Kolumnist in einem blauen Short, lachend in die Kamera

    Kolumnist Johannes macht jetzt einmal die Woche einen Social Media Detox

    Ich bin inzwischen schon auf der Entdecken-Seite. Ich lese mir verschiedene Überschriften durch und stoße auf einen Post von Narcity Canada, ein Online-Medienunternehmen. „333 Kinder werden in Ontario derzeit vermisst & die lokale Polizei fragt nach deiner Hilfe“, steht in dicken schwarzen Buchstaben über dem Foto eines Polizei-SUVs. Darunter in kleinerer Schrift: „3022 Kinder wurden dieses Jahr als vermisst gemeldet.“ Obwohl die Kanadische Provinz mehr als 6000 Kilometer von Leipzig entfernt ist, kommt in mir etwas Unruhe auf. So viele Kinder, innerhalb eines Jahres? Das klingt furchtbar und muss grausam für die Eltern sein. Meine Aufmerksamkeit ist geweckt, ich öffne die Kommentarsektion. Die ersten Kommentare: „Das ist eine wirklich hohe Nummer. Alter Schwede.“ „Menschenhandel ist leider ein reales Problem und ein Problem in unserer Welt.“ Menschenhandel? Ich verspüre Angst in meiner Brust. Ist das ein so großes Problem? Kinder, die zu tausenden in einer Provinz innerhalb eines Jahres verschwinden? In einem Land wie Kanada?
    Ich habe mehrere jüngere Geschwister, die Sorgen von Eltern kann ich also durchaus nachempfinden. Ich scrolle weiter. „Ich denke, niemand hat sich den Artikel durchgelesen?“ Der Kommentar reißt mich aus meinen Gedanken. Nein, habe ich nicht. „Von den 3022 wurde die Mehrheit kurz danach gefunden. Diese Nummer 333 bezieht sich auf alle offenen Fälle seit 1944.“ Tatsächlich. Zwar wird das ganze geschickt erst zum Ende des Artikels aufgelöst, aber der Kommentar stimmt. 333 Kinder seit 1944 ist immer noch furchtbar, aber klingt weniger furchteinflößend als innerhalb eines Jahres. Und von Menschenhandel wird auch nichts gesagt. 

    Wenn es um Newsseiten, Zeitungen und andere Formen der Informationsverbreitung geht, gibt es viele Wege, wie Nachrichten verloren gehen können, leicht verfälscht oder gezielt verändert werden. Zudem sind Fakenews im Internet in den letzten Jahren ein immer größeres Problem geworden. Aber das sind alles Dinge, denen man sich ja irgendwie bewusst ist. Um ein Bild zu bekommen, dass so nah wie möglich an er Realität ist, muss man einfach verschiedene Quellen lesen, am besten aus unterschiedlichen politischen Lagern. Zudem hilft es zurückzuverfolgen, wer zuerst über das Thema oder wer die Nachricht geschrieben hat, gerade auf den Sozialen Medien wird viel abgeschrieben. 

    Mir ist bloß bisher nicht bewusst gewesen, dass der Leser mindestens eine genauso große Verantwortung hat, wie alle, die Informationen im großen Stil verbreiten. Wenn ich eine Clickbait-Überschrift lese und interpretiere, sollte ich auf gar keinen Fall meine Meinung dazu geben oder die Informationen weiterteilen, bevor ich mich zu dem Thema informiert und den Artikel gelesen habe. Da das viel Arbeit bedeuten kann, ist es wahrscheinlich sinnvoller öfter einfach mal Leute diskutieren zu lassen, die sich damit beschäftigt haben. Wenn wir alle dieser Regel folgen würden, wäre die Informationsflut auf Sozialen Medien wahrscheinlich viel übersichtlicher.  

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

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