Theater in den Händen und im Ohr
Das Schauspiel Leipzig bietet blinden und sehbehinderten Menschen (wenn es nicht, wie gerade alle Theater, geschlossen ist) Führungen und eine Audiodeskription an. Es zeigt: Theater geht auch blind.
„Ich bin etwa 1,80 Meter groß, trage eine blaue Hose und ein Hemd.“ So beginnt Matthias Doepke, Dramaturg am Schauspiel Leipzig, die Einführung zu Friedrich Schillers Stück „Maria Stuart“. Dennis Alt ist blind, oder, wie er selbst sagt, sieht „nichts, außer mit den Händen“. Er ist das erste Mal dabei, heute der Einzige der bei der Führung des Theaters mitmacht und hört Doepke aufmerksam zu. Nach einer Einführung in die Handlung des Stücks, ein düsteres Drama von zwei Königinnen im 16. Jahrhundert, beschreibt Doepke die Kostüme der Schauspieler*innen: „Elisabeth die I. trägt ein schwarzes, bodenlanges Kleid mit großem Rückenausschnitt. An den Fingern trägt sie silberne Ringe. Die Haare hat sie hochgesteckt.“ Dabei gibt er Dennis kleine Stoffstücke zum Fühlen in die Hand.
Weiter geht es auf der Bühne. Auf ihrer Mitte steht ein großer metallener Käfig, in dem später Anna Keil in der Rolle der Maria Stuart, Königin von Schottland, eingesperrt sein wird. Dennis tastet sich entlang der Gitterstäbe, streckt ein Bein durch die Lücke und zieht sich lachend an den Stäben hoch. In der Ecke des Käfigs liegt der Mantel von Königin Maria. Auch dieser und ihre schweren Stiefel mit Eisensohle werden von Dennis fühlend begutachtet.
Die Aufführung beginnt gleich, das Publikum sitzt bereits an seinen Plätzen. Es ist noch dunkel, doch per Kopfhörer hört Dennis die Sprecherin bereits sagen: „Wenn es gleich hell wird, steht Amias Paulet mit einem Brief in der Hand vorne auf der Bühne. Im Hintergrund schwebt der Käfig in der Luft, in dem die Königin Maria Stuart eingesperrt ist.“ So wird während der gesamten Aufführung genau beschrieben, was auf der Bühne passiert.
Seit 2013 bietet das Theater Führungen und Audiodeskription für blinde und sehbehinderte Menschen an. Etwa einmal im Monat finden Aufführungen mit diesem Angebot statt. Mehr als 800 Mal wurde es seit der Einführung bereits angenommen, so Doepke. „Die Inszenierungen der Stücke finden dabei ganz normal statt. Ob manche im Publikum bei den Aufführungen Kopfhörer tragen, ist dabei egal“, erklärt er. Während der Aufführung sitzt hinter dem Publikum eine Sprecherin in einer Kabine. Sie beschreibt das Stück live. Dabei hält sie sich an ein Skript, welches gemeinsam mit einem blinden Menschen entwickelt wurde und verhindern soll, dass sich die Deskription mit den Sprechanteilen der Schauspieler*innen überlappt.
„Vorführungen mit Audiodeskription sind in diesem Format noch ziemlich selten“, so Doepke. Das Schauspiel Leipzig sei eines der ersten Theater in Deutschland gewesen, das ein solches Angebot macht. Wegen seiner Vorreiterrolle zeichnete der Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen das Theater dafür bereits mit einem Ehrenpreis aus.
„Das war genial! Man konnte sich richtig gut vorstellen, was die Schauspieler machen“, erzählt Dennis nach Ende des Stücks. Sonst gehe er nicht ins Theater, aber mit der Audiodeskription könnte er sich vorstellen, öfters zu kommen. Letztere kenne er sonst nur von Filmen. „Das geht meinen Freunden dann manchmal auf die Nerven, das Gelaber nebenher. Die sagen dann: Aber das sehen wir doch!“, erzählt Dennis und lacht.
Hinweis: Das Theaterstück wurde kurz vor den ergriffenen Kontaktverbots-Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus aufgeführt.
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