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  • „Forschung muss ergebnisoffen sein“

    Im Juni wurde Mark Mietzner mit einer knappen Mehrheit zum neuen HTWK-Rektor gewählt, seit Oktober ist er im Amt. Wir haben mit ihm über Digitalisierung, Drittmittel und die Klimastreikwoche geredet.

    Seit Anfang Oktober ist Mark Mietzner Rektor der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). luhze-Redakteur David Will sprach mit ihm am 27. November über Digitalisierung, Finanzierung aus der Wirtschaft und seine Position zur Klimastreikwoche.

    luhze: Warum haben Sie sich an der HTWK beworben?
    Mietzner: Schauen Sie sich das Profil der HTWK an. Zwischen dem Bildungssektor und der Gesellschaft braucht es einen stärkeren Schulterschluss – man könnte fast sagen, einen neuen gesellschaftlichen Vertrag. Die Gesellschaft ist als Steuerzahler der Finanzier der Hochschulen. Diese sollten etwas zurückgeben, indem sie sich mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen auseinandersetzen: Klima, Migration, Mobilität. Solche Themen sind vielfältig, interdisziplinär und komplex. Die HTWK hat genau die Vielfalt, um hier Impulse zu geben: Wir forschen zum Beispiel zu alternativen Baumaterialien oder neuen Lösungen bei der Energieeffizienz. Wir forschen aber auch im Bereich der Digitalisierung. Die kann historische Arbeitsplätze verdrängen, doch eine Hochschule kann Perspektiven schaffen, die neue Arbeitsplätze entstehen lassen.

    Bei den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) hält sich die Gesellschaft als Finanzier ja eher zurück. Im HTWK-Report 2018/19 wird wenig euphorisch von einer „stabilen, wenn auch mittelrestriktiven Grundausstattung“ gesprochen und auch der Stura der HTWK hat jüngst von einer unzureichenden Finanzierung der Hochschulen gesprochen. Tut die öffentliche Hand genug?
    Man muss anerkennen, dass sich die Politik in Bund und Ländern tatsächlich bemüht, immer mehr zu tun. Ich glaube, die Politik hat verstanden, dass wir mehr in Bildung investieren müssen. Forschung und Lehre sind teuer. Die Hochschulen übernehmen zusätzliche Aufgaben durch die Akademisierung der Berufe, etwa im Bereich der Pflege. Der Bedarf ist also gewachsen. Sind die Budgets aber mitgewachsen? Können sie überhaupt mitwachsen? Hochschulen sind immer ungesättigt, das ist das Prinzip von Forschung und Lehre: Wir können immer mehr tun.

    Seit 1990 hat sich bundesweit das Volumen der Drittmittel verfünffacht, auch die HTWK hat letztes Jahr einen neuen Rekord eingefahren – 12,1 Millionen Euro – von denen 1,9 Millionen aus der freien Wirtschaft kamen. Wie kann die HTWK da die Freiheit der Forschung garantieren?
    Der akademische Mittelbau, der aus öffentlichen Geldern finanziert wird, ist ja bisher in Sachsen nicht existent an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Wer betreibt aber letzten Endes die Forschung? Natürlich geht das nur über Manpower und die ist teuer. Ein Paper zu schreiben, das ist ein Handwerk, was man erstmal erlernen muss, und die Veröffentlichung dauert manch­­mal mehrere Jahre. Dann müssen die Mitarbeiter auch eine gute Bezahlung bekommen. Man kann sie nicht einfach auf einer 25-Prozent-Stelle halten. Forschung braucht Zeit und Raum. Es braucht im Vorfeld eine ganz klare Haltung. Inhaltlich steht die Grundlage dafür im Gesetz: Forschung und Lehre sind frei. Punkt.

    Organisationen wie Hochschulwatch fordern, sämtliche Verträge zwischen der Wissenschaft und der Wirtschaft offenzulegen. Das passiert an der HTWK bei dem Großteil der Drittmittelfinanzierung aus der Wirtschaft nicht. Warum?
    Die angesprochenen 1,9 Millionen von den insgesamt 12 Millionen beinhalten auch Fortbildungen und Seminare – das ist der unmittelbare Wissenstransfer. Es kommt niemand auf uns zu und sagt: Hier habt ihr einen Geldtopf, wir erwarten, dass ihr folgendes Ergebnis in Form eines Gutach­tens liefert. Forschung muss immer ergebnisoffen sein.

    HTWK-Rektor Mark Mietzner während des Interviews mit luhze - Leipzigs unabhängige Hochschulzeitung Ende November

    Mit 14 von 27 Stimmen zum Rektor der HTWK gewählt: Mark Mietzner

    Gibt es eine interne Richtlinie oder Ausschlusskriterien bei der Drittmittelakquise?
    Das läuft letzten Endes thematisch. Unsere Drittmittel sind ja überwiegend kompetitiv und aus öffentlichen Mitteln eingeworben und haben ein Checks-and-Balances-System unterlaufen. Das läuft nicht so, dass man jemanden kennt, der einem Geld geben kann, und dem man dann einen Antrag schreibt. Wir schauen, welche Themen wir haben, welche öffent­lichen Fördermöglichkeiten es gibt und bringen den Antrag auf den Weg.

    Es gibt also keine Richtlinien.
    Intern geregelt ist, dass wir kein wissenschaftliches Fehlverhalten, keine Manipulation tolerieren. Auch das Wissenschafts­­system als solches achtet viel stärker als früher darauf, dass das, was jede Forscherin und jeder Forscher tut, intrinsisch motiviert ist. Die eigene Reputation – das ist das einzige, was wir als Wissenschaftler haben. Wenn die verloren ist, kriegen sie kein Paper mehr publiziert, dann werden die auf keine Konferenz eingeladen. Dann werden sie quasi ausgeschlossen aus der Community und ihre Forschung ist wertlos.

    Lassen Sie uns über die neugeschaffene Stiftungsfakultät „Digitale Transformation“ reden. Ihre Vorgängerin Gesine Grande hat von einer „Jahrhundertchance“ gesprochen. Worin liegt diese Chance?
    Ich würde sagen, das steckt im Namen: Digitale Transformation. Die Digitalisierung ist eine der richtig großen Herausforderungen. Die Stiftungsprofessuren, die jetzt besetzt werden, gehen darauf ein. Das Ziel ist, die HTWK zu einem der Player im Bereich Digitalisierung in Leipzig, in Mitteldeutschland, in Deutschland oder vielleicht sogar über die Grenzen hinaus zu entwickeln: einem Ort, wo man über die Folgen von Digitalisierung nachdenkt und auch vorausdenkt. Das ist eine Riesen­chan­ce. Wenn man auf den Struk­turwandel hier in der Region schaut, dann können wir einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Region auch im Bereich der Digitalisierung weiterentwickelt.

    Im Juni kritisierte der HTWK-Stura, dass die Deutsche Telekom fast alleinig die Fakultät finanziert, und warnte vor Beeinflussung. Wie bewerten Sie das?
    Jede Professur wird ausgeschrieben, das ist ein normales wettbewerbliches Verfahren. Man muss sich beweisen, das ist eine Bestenauslese. Der gesamte Prozess und auch der Vertrag mit der Telekom sind vom Ministerium sehr genau geprüft.

    Die Studierenden müssen allerdings ein Unternehmen als Praxispartner gewinnen. Bisher ging das nur bei der Deutschen Telekom. Wann werden auch andere Unternehmen anerkannt?
    Dazu gibt es auch weitere laufende Anfragen. Wie weit diese sind, dazu kann ich jetzt nichts sagen. Aber es ist keine Exklusivveranstaltung für die Telekom, wenn Sie das jetzt daraus schließen würden.

    Bisher läuft es halt exklusiv über die Deutsche Telekom.
    Es fängt ja gerade erst an. Da muss man auch einfach ein bisschen warten, wie sich das entwickelt. Wir haben den Praxistransfer im Curriculum verankert, weil wir berufs­befähigend und praxi­so­ri­en­tiert a­rbeiten wollen. Ohne Partner gibt es den nicht.

    luhze-Redakteur David Will im Gespräch mit HTWK-Rektor Mark Mietzner

    luhze-Redakteur David Will interviewte Mark Mietzner Ende November in seinem Büro.

    Diese Woche findet die Public Climate School statt. Sie haben am 18. November eine Rundmail verschickt, in der Sie den Aktivisten Aktionismus unterstellten. Wie stehen Sie zu den Veranstaltungen?
    Der Klimawandel ist eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen und die Hochschulen müssen einen Beitrag leisten. Wir haben die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, damit hier eine Dis­kussion stattfinden kann. Man kann sich also durchaus sehr kontrovers zu Themen äußern und sich streiten. Kritischer sehe ich es, wenn wie an der TU Dresden Räume besetzt werden und Leh­re nicht stattfinden kann. Darum gab es bei uns Befürchtungen. Ich habe aber nichts verboten oder unterbunden, sonst hätte ich auch gar keine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt oder den Professorinnen und Professoren die Teilnahme explizit freigestellt.

    Die Räume wurden aber erst nach einem klärenden Gespräch bereitgestellt. Welche Befürchtungen hatten Sie zuerst?
    Ich habe erst einmal die Verantwortung, jedem Mitarbeiter die Chance zu geben, regulär seinen Lehrbetrieb durchzuführen. Dazu ist er laut seinem Arbeitsvertrag verpflichtet, das müssen wir sicherstellen. Hochschulen sind natürlich ein Ort des Austauschs, der gerne kritisch sein darf. Wenn aber wie heute Morgen Fluchtwege zugesperrt werden, habe ich keine andere Chance, als sie wieder freizumachen. Wenn ich ein Schloss vor ein Tor mache, damit niemand rein kann – wo soll dann der Diskurs stattfinden? Wir sind in einer Bildungseinrichtung, wir sind doch in der Lage, uns als angehende Wissenschaftler und Führungskräfte mit Argumenten über Themen auszutauschen. Wir brauchen keine Gewalt, wir haben die schärf­ste Waffe, die es gibt: den Verstand und die Aus­drucks­fähigkeit. Wir wollen doch ein Bewusstsein verändern und nicht die kör­per­li­che Beschaffenheit von Mit­men­schen.

    Das wollte aber doch niemand in Leipzig. Keiner hatte Ge­walt angedroht.
    Wir befinden uns an einer Hochschule und brauchen den Dialog. Nur so werden wir das Problem lösen: durch Dialog, durch Technologie-Entwicklungen und durch einen Bewusstseinswandel – dass man nicht für jede Tüte Milch mit seinem PKW zum möglichst weit entfernten Supermarkt fahren muss. Ich habe nichts anderes erwartet, als dass hier ein Dialog stattfinden würde. Dass wir parallel dazu natürlich den regulären Lehrbetrieb aufrechterhalten, na gut: Es gibt halt auch Leute, die sich nicht beteiligen möchten oder sagen, dass sie dazu gerade nichts beitragen können. Das müssen wir auch akzeptieren.

     

    Titelfoto: Kirsten Nijhof

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