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  • Krawall und Remmidemmi gegen die Abgründe des Menschen

    „Jeder stirbt für sich allein - Die Leipziger Meuten“ von Armin Petras, zu sehen im Schauspiel, widmet sich dem Widerstand zur NS-Zeit und scheut sich nicht davor Drama mit Stumpfsinn zu vermengen.

    In der Mitte der Bühne steht ein weißer viereckiger Klotz, der aussieht wie ein Bungalow. Jugendliche in weißen Unterhemden, mit streng gescheiteltem Haar bringen Plakate an den Wänden des Vierecks an. Dann gibt es einen Knall und die Nebelmaschine bläst bedrohlich. Mit Geschrei fegt eine Horde Jugendlicher in bunten Wollpullovern über die Bühne. Sie reißen wo es geht die Plakate herunter und werden daraufhin von den Gescheitelten gejagt. Wieder bläst die Nebelmaschine.

    Nächste Szene: Was mit viel Getöse beginnt, setzt sich auch so fort. Die Arbeiter*innen der Möbelfabrik, dessen Chef Otto Quangel (Wenzel Banneyer) ist, schleppen mit monotonen Bewegungen Pakete von A nach B und über ihren Köpfen braut sich ein Unwetter aus Schriftzügen zusammen: „#The do her people“, „#Einfach. Immer. Überall.“ Otto Quangel, zusammen mit Ehefrau Anna Quangel (Julischka Eichel), sind die zentralen Figuren des Stücks und wohnen in diesem weißen Klotz. Die Inszenierung vereint den Roman „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada, welcher auf einer wahren Begebenheit beruht und von einem Ehepaar handelt, welches durch Postkarten Widerstand gegen Hitler leistete, mit der Geschichte der „Leipziger Meuten“, eine Gruppe Jugendlicher die sich gegen das NS-Regime widersetzte und als eine Gegenformation zur „Hitler Jugend“ und dem „Bund Deutscher Mädchen“ gründete.

    Nach der Möbelfabrik-Szene fühlt Obergruppenführer Heitler der SS (Andres Keller) seinen Sprösslingen auf den Zahn. Diese stehen nicht etwa auf der Bühne, sondern sitzen im Publikum, wodurch sich auch die Zuschauer*innen angesprochen fühlen. Als der robuste Mann mit Glatze, schwarzen Stiefeln und durchfurchtem Gesicht mit durchdringendem Blick zum Mitklatschen auffordert, bewegen sich einige Hände des Publikums wie von selbst zum Takt. Andere verharren demonstrativ auf der Lehne des Theatersessels und folgen weiter stumm den brodelnden Ereignissen auf der Bühne.

    Obergruppenführer Heitler verkörpert die Bösartigkeit.

    Bildschirme gewähren private Einblicke in das, was sich innerhalb der vier Wände zweier Leben abspielt. Zum einen ist da das Ehepaar Quangel dessen Sohn im Krieg umgekommen ist. Langsam befreit sich dieses aus der Ohnmacht der Trauer und versucht durch Warnungen auf Postkarten die Menschen davon zu überzeugen, dass der Nationalsozialismus ein Unrechtsregime ist. Zum anderen ist da Frau Rosenthal (Bettina Schmidt), eine alte Dame, welche die Wohnung über den Quangels bewohnt. Sie ist Jüdin und sieht sich mit Verachtung und Bedrohungen der Nazis konfrontiert. Nur schwer findet sie sich in dem Spektrum von Missachtung bis hin zu Mitgefühl zu Recht und zieht sich als eine dauernde Gefahr für diejenigen, welche sie vor den Nazis schützen wollen, immer mehr zurück. Sie flüchtet sich in Gedanken über ihren Mann, den sie ja eigentlich besuchen will, doch ist dieser wohl längst in ein Konzentrationslager verschleppt worden und es ist nur eine Frage der Zeit bis auch sie von der Gestapo abgeholt wird.

    Die Kamera, welche das Geschehen im Inneren des Gebäudes live filmt, überträgt blutunterlaufene Augen, schweißnasse Haut und gehetzte Pupillen auf die zwei großen Bildschirme, die über der Bühne hängen. Sie zeigt das Innenleben der Verfolgten, Gepeinigten und von Wut und Trauer getriebenen Menschen, die in einer schier ausweglosen Situation umherirren.

    In einer Kneipe, die sich ebenfalls innerhalb des Klotzes befindet, liefern sich die Leipziger Meuten in bunten Klamotten einen Kampf mit den Angehörigen der Hitler-Jugend in Unterhemden und Scheitel-Frisuren. Jugendlicher Leichtsinn und bunte Utopien kämpfen gegen strenge Schritte und den Glauben an die Überlegenheit des Stärkeren. Und auch wenn die Auseinandersetzungen völlig unverhofft in ein Szenario, das an Highschool Musical erinnert, übergeht, ist der Witz ein schlechter Trost, denn die bohrende Kraft des Bösen ist stärker.

    Armin Petras Stück über die Leipziger Meuten und eine Zeit in der Angst und Gewalt die Gedanken bestimmte, ist vollgeladen mit Emotionen, Abgründen sowie Stumpfsinn. Die Komik zeigt sich inmitten des Grässlichen, Erbarmungslosen und die Lacher bleiben oft im Hals stecken, denn den bitteren Geschmack des Todes können sie nicht vertreiben. Petras zeigt, dass Humor keine Waffe gegen Unrecht ist, sondern nur ein Werkzeug, um die Abgründe des Menschen zu überspielen.

    Nie weiß das Publikum was als nächstes kommt. Eben liefern sich im Falle der Ermittlungen um Anna und Otto Quangels Postkarten, SS-Mann und Kripo einen Machtkampf und schon geht’s mit den Meuten raus an den See und statt Drama gibt es Werbung im Strandoutfit. Dann wieder trottet eine Ketchup Flasche auf die Bühne und faselt von der Marktfrau, die er eigentlich hätte spielen sollen, nur um dann mit Hotdog und Senf Tube ein Rock Konzert zu geben.

    Doch diese Leichtigkeit währt nicht lange. Obergruppenführer Heitlers blecherne Stimme nistet sich knurrend in die hintersten Ecken des Gedächtnisses ein: „Gehirne muss man züchten. Gehirne mit Eckzähnen“, summt das Zitat des Arztes und Dichters Gottfried Benn wie eine geheime Botschaft durch den Raum.

    Das Rezept der Inszenierung heißt Überforderung. Keine leisen Töne, es wird draufgehauen und es geht zur Sache. Schreie, Trinksprüche, eine schräge Zooladen-Besitzerin, Schüsse und rosarote Plakate. Nach der ersten Hälfte des Stücks findet man sich langsam zu Recht im Strudel der Ereignisse und im Chaos von Hass und Liebe. Zu keiner Sekunde kommt Langeweile auf, doch manchmal fehlt das Langsame, Durchdringende. Die Schauspieler*innen spielen grandios und doch fegen sie wie Marionetten über die Bühne und das Theaterspiel bleibt ein Spiel.

    Das Böse hat keine Tiefe, es ist banal, so die Philosophin Hannah Arendt. Vielleicht ist es diese Banalität, die Petras mit einer solch turbulenten und kraftvollen Inszenierung zeigen möchte. In jedem Fall ist „Jeder stirbt für sich allein – Die Leipziger Meuten“ postdramatisches Theater erster Klasse und beeindruckt mit schauspielerischer Leistung, explosiver Kraft und großartigem Bühnenbild. Das Stück ist noch bis Mitte Februar 2020 zu sehen, die nächste Aufführung findet am 20. September um 19 Uhr, inklusive einer Einführung, im Schauspiel Leipzig statt.

    Fotos: Rolf Arnold

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