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  • Dresdner Schmäh ─ Von Meißen nach Pirna

    Im bürgerlichen Dresdner Viertel Loschwitz gibt’s frisch gepressten Orangensaft für 3,90 €, im Vorort Heidenau kriegt man Eiscafé wie in den 90ern. Die AfD kann in beiden Orten mit Rückhalt rechnen.

    Es gibt dieses Bild vom armen, rechten Osten. Wenn hier jemand rechts ist, dann weil die Jobs fehlen, weil die Leute aus ihren Dörfern wegziehen, in denen es keine Perspektive gibt, und weil die Schmach der Abwicklungen nach der Wende noch so tief sitzt. In mehr als einem Ort, durch den wir gefahren sind, kann man damit zumindest einiges erklären: in Pausnitz bei Riesa etwa, oder in Heidenau, wo wir heute Abend Halt gemacht haben. Im Dresdner Ortsteil Loschwitz greift das Bild nicht.

    Von Nünchritz aus sind Simone und ich nach Meißen gefahren, mehr als einmal mussten wir wegen der warmen Abendsonne und der Weinberge am Wegesrand eher an das Elsass als an Sachsen denken. Aus Zeitgründen konnten wir leider nur den kurzen Eindruck gewinnen, dass wir das wunderschöne Städtchen mit seinen verwinkelten Gässchen und der historischen Burg unbedingt wieder besuchen müssen. Nach einer Nacht auf dem Campingplatz und einem zwiebeligen Salat beim angeblich besten Döner der Stadt sind wir einen Abend später in Dresden angelangt, wo wir bei Bekannten unterkommen konnten. Hier haben wir es uns für ein paar Stunden in der Studiblase gemütlich gemacht: Im Bad steht das gleiche Bio-Duschgel wie zu Hause, der Kühlschrank ist offen für alle und unsere Gastgeber waren natürlich auf der Unteilbar-Demo.

    In Loschwitz sind die Läden schmuck.

    Tags darauf machen wir Station in Dresden-Loschwitz. Das Viertel liegt nordöstlich der Elbe, um ins Dresdner Stadtzentrum zu kommen, muss man das Blaue Wunder überqueren – eine bläulich schimmernde Stahlbrücke, die im neunzehnten Jahrhundert vom Architekten des Eiffelturms entworfen wurde. Aber warum sollte man sein Viertel oft verlassen? Die efeuberankten Läden sind schmuck, die Cafés laden zum Verweilen und die Straßen zum Spazieren ein. Da ist nur diese Sache mit den Rechten.

    Trödelecke in Loschwitz

    „Auf dem Kiez kriegst du davon nicht viel mit, aber was in den Hinterhöfen passiert, ist teilweise schauderhaft“, sagt Erik. Er arbeitet im Kulturzentrum in der Alten Feuerwache, organisiert hier Ausstellungen, Konzerte und auch offene Stammtischrunden. Zwanzig Prozent holte die AfD bei den Kommunalwahlen im beschaulichen Loschwitz, dazu gibt es seit einiger Zeit Streit in der Nachbarschaft: Nur ein paar Häuser weiter treten die ganz Rechten auf, die Intellektuellen, die von einem vermeintlich reinen deutschen Volk träumen. Vor dem Kulturhaus warnt ein Plakat den „mündigen Bürger“ vor „Kartellparteien“, „Mainstream-Medien“ und „Klimahysterie“, drinnen veranstaltet die Buchhändlerin Susanne Dagen regelmäßig die Reihe „Mit Rechten lesen“. Ellen Kositza ist hier immer wieder zu Gast, die mit ihrem Mann Götz Kubitschek den rechten Antaios Verlag leitet. Mehrere Kulturschaffende aus dem Ort protestierten in einem offenen Brief, der Deutschlandfunk brachte vor kurzem ein ausführliches Feature zu dem Thema.

    Seit die Buchhändlerin Dagen sich so radikal positioniert, ist das nachbarschaftliche Verhältnis gestört. Erik versucht, gegen den rechten Trend anzukommen, etwa durch politische Diskussionsrunden in der Alten Feuerwache. Viele würden sich an dem Asylbewerberheim im Ort stören, obwohl es nie Schwierigkeiten gegeben habe: „Die kacken doch niemandem in den Hof und klauen auch keinem eine Kirche“, protestiert er. Für ihn liegt das Problem auf Landesebene: Jahrelang habe die Regierung die Rechten hofiert, etwa als sie in Dresden Neonazis gestattete, für eine Demonstration direkt an einer Synagoge vorbeizuziehen.

    Abseits des Elberadwegs versiegen schnell die Touristenströme.

    Wenige Kilometer hinter dem gutbürgerlichen Loschwitz treffen wir auf eine ganz andere Realität. An der Elbe entlang fahren wir weiter in Richtung Pirna, vorbei an Heerscharen von Rentnern, die fest im Sattel ihres E-Bikes oder in den überfüllten Restaurants am Wegesrand sitzen. Sobald wir aber den Speckgürtel von Dresden verlassen haben und vom Elberadweg abgebogen sind, ist außer uns weit und breit kein Tourist zu sehen. Wir machen Halt in Heidenau, das 2015 bundesweit Schlagzeilen machte, als sich hunderte Leute an Ausschreitungen gegen ein Asylbewerberheim beteiligten.

    Seit er den Laden übernommen hat, hat Ronny die Einrichtung nicht verändert.

    Im Stadtcafé kommen wir ins Gespräch mit Ronny und Frank. Die beiden Mittfünfziger kennen sich seit ihrer Schulzeit, das merkt man an ihrem Umgang miteinander. Klar könnten wir ein Foto von dem Laden machen, sei schließlich eine echte Perle, entgegnet Ronny – wir sollten nur aufpassen, dass Frank nicht im Bild ist, „da geht dir die Kamera kaputt“. Der Schritt über die Schwelle ist wie eine Zeitreise: Seit Ronny das Café 1992 übernommen hat, hat er an dessen Einrichtung nichts verändert. Aus ihrem Jahrgang sind nicht viele im Ort geblieben, viele haben woanders Arbeit gefunden, so wie Frank, der im Westen bei Bosch arbeitet und jede Woche pendelt. Wie für viele Orte war die Wende für Heidenau mit einem starken Bevölkerungsverlust verbunden: 1989 lebten hier noch 21.000 Menschen, heute sind es nur noch knapp 17.000. In der DDR war in Heidenau viel Industrie angesiedelt, noch heute stehen hier eine Papierfabrik und ein Reifenwerk. Viele Betriebe aber seien nach der Wiedervereinigung von Spekulanten aufgekauft und geschlossen worden, sagt Frank. Auch Touristen verirren sich selten in den Ort, wir sind heute die einzigen, die hier Halt gemacht haben. Man müsse mehr für den Mittelstand tun, sagt Ronny.

    Als Frank sich schließlich auf den Heimweg zu seiner Frau macht und Ronny die Markise des Stadtcafés einfährt, fahren wir weiter, nach Pirna wo wir die Nacht verbringen werden.

    Fotos: Simone Rauer

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