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    Als ihr Atom-U-Boot verunglückt, hoffen 23 russische Matrosen unter dem Nordmeer auf Rettung. Das Historiendrama „Kursk“ ist ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen das Misstrauen der Funktionäre.

    Kalt, düster, repressiv – Mütterchen Russland hat sich als Schauplatz moderner Schauergeschichten im Westen gut bewährt; man vergleiche nur die Sky-Serie „Chernobyl“, welche die klaffende Lücke nach „Game of Thrones“ zu füllen hilft. Mit „Kursk“ schickt sich der dänische Regisseur Thomas Vinterberg an, dieses bekannte Bild um eine weitere Facette zu ergänzen, diesmal mit einem U-Boot-Drama um aufrechte Seeleute und unfähige Funktionäre.

    Am 10. August 2000 läuft das russische Atom-U-Boot „Kursk“ mit zahlreichen anderen Schiffen in das Nordpolarmeer aus. Es ist das erste große Manöver seit dem Untergang der Sowjetunion und soll einen Beleg für die fortwährende Stärke der russischen Marine liefern. Stattdessen explodiert durch veraltete Technik der Torpedoraum und das Boot sinkt auf den Grund. Nur 23 Männer überleben im hinteren Teil des Bootes, geführt von Kapitänleutnant Awerin (Matthias Schoenarts). Ihnen steigt das Wasser buchstäblich bis zum Hals, doch die russische Führung lehnt westliche Hilfe aus Stolz und Angst vor Spionage ab und lässt auch die Angehörigen im Dunkeln, darunter Awerins Frau Tanja (Léa Seydoux).

    Stehender Mann in offener Marineuniform und mit Schnapsglas inmitten einer Hochzeitsgesellschaft; ringsherum sitzende Frauen und Matrosen.

    Vor der großen Fahrt dient Kapitänleutnant Awerin (Matthias Schoenarts) als Trauzeuge eines Kameraden. Rechts seine Frau Tanja (Léa Seydoux)

    Wie der Ozean auf der „Kursk“, so lastet auch auf dem Film ein Gefühl der Beklemmung. Die klaustrophobischen Zustände im Boot schnüren dem Zuschauer die Brust ein: Dunkelheit, beengende Maschinen, stickige Luft, eiskaltes Wasser und über allem die zerdrückende Meerestiefe. Und doch: trotz der Gewissheit über den tragischen Ausgang möchte man mithoffen, als die Rettungsmission Klopfsignale der Eingeschlossenen an der Oberfläche empfängt.

    Überhaupt bemüht sich Vinterberg, dem düsteren Hintergrund menschliche Seiten entgegenzustellen: Familien, Hochzeiten und Freundschaften zeigt er eingangs gezeigt und sollen die Kameradschaft der eingeschlossenen Männer begründen, die dann bis zum bitteren Ende zusammenbleiben. Im gemeinsamen Gesang der Seeleute finden sich Reminiszenzen an den Klassiker „Das Boot“ (1981). Trotzdem bleiben die Charaktere eher schematisch. Der selbstsichere Anführer, der weiche, dickliche Koch, der nervöse Neuling (übrigens Joel Basman!)… Man hat ein vorhersehbares Typenkabinett vor sich.

    Marineoffiziere stehen um einen Kartentisch auf der Brücke eines Schiffes herum, links ein Admiral.

    Admiral Wjatscheslaw Grusinski (links, Peter Simonischek) leitet das verhängnisvolle Manöver.

    Die wirklichen Kämpfe im Film finden dann über Wasser statt. Die misstrauische Beziehung zwischen Russland und dem Westen erhält eine persönliche Note durch den britischen Admiral Russell (Colin Firth), der seine alte Bekanntschaft mit dem russischen Gegenüber Grusinski (Peter Simonischek) wiederbelebt, um effektive Hilfe zu leisten. Mit letzterem hat auch die russische Seite ihre Sympathiefigur, mit der man sich gegen Vorwürfe der Parteilichkeit absichern kann. Firths glattrasierte, höfliche Saubermann-Figur ist schauspielerisch gekonnt, bleibt aber ohne Ecken und Kanten, eher eine Projektionsfläche westlichen Wohlwollens, gegen den die sturen russischen Offiziere sich besonders abheben. Für diese sind Matrosenleben gegenüber nationalem Prestige und Militärgeheimnissen nur wenig wert – das ist zumindest eine Botschaft, die traurigerweise genauso gut von heute stammen könnte.

    Die Gegner sind letztendlich nicht die unbeherrschbaren Elemente, sondern Menschenverachtung und Unfähigkeit in den eigenen Reihen. In der Darstellung dieser Verhältnisse liefert Vinterbergs „Kursk“ aufwändige Bilder und einen solide abgefilmten Ereignisbericht, vermag jedoch nicht, darüber hinaus zu fesseln. Charaktere und Dialoge bleiben blass. Wird in zehn Jahren noch jemand zu diesem Film greifen? Als Tatsachenbericht taugt er nicht, doch als Marinedrama reicht er auch nicht an Klassiker des Genres heran (zum Beispiel „Jagd auf Roter Oktober“). Was bleibt? Solides Füllmaterial für die Spätabend-Slots zweitklassiger Privatsender.

     

    Fotos: Wild Bunch Germany

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