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  • „Bildung muss frei sein“

    Evamarie Hey-Hawkins ist seit 26 Jahren Professorin für Anorganische Chemie an der Universität Leipzig und die erste Wissenschaftlerin in der Europäischen Akademie der Wissenschaften.

    Beim dies academicus 2018 bekam Hey-Hawkins die Universitätsmedaille verliehen. Ebenfalls im Dezember letzten Jahres wurde sie als erste Leipziger Wissenschaftlerin in die Europäische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Nun erhielt sie gemeinsam mit Frank-Dieter Kopinke den Leipziger Wissenschaftspreis. student!-Redakteurin Pia traf sie zum Interview.

    student!: Herzlichen Glückwunsch zur Aufnahme in die Europäische Akademie der Wissenschaften. Was bedeutet das für Sie?
    Hey-Hawkins: Das ist eine besondere Anerkennung der eigenen Forschung. Die Europäische Akademie der Wissenschaften steht für vieles was mir wichtig ist. Man denkt und forscht über Landesgrenzen und solche der eigenen Forschung hinaus. Der Fokus liegt nicht auf dem eigenen Fach, sondern darauf, was für die Forschung in Europa wichtig ist. Ich sehe Europa als Baustein aus vielen Ländern. Zusammen können sie sich in der Forschung gegenüber den USA, Asien und Russland positionieren, aber auch eigene Ziele vorantreiben und gegenseitig Ideen austauschen. Mit der Akademie im Hintergrund hat man eine Legitimität und wird anders wahrgenommen.

    Wussten Sie schon immer, dass Sie Chemie studieren wollten?
    Naturwissenschaften haben mich schon immer interessiert. Jedoch hat es mich vorgeprägt, dass ich mit meinem älteren Bruder auf einer Schule war. Ich hätte gerne Physik studiert, aber das hat er schon gemacht. Blieben noch Biochemie, Chemie und Veterinärmedizin. Da habe ich mich damals für Chemie entschieden. Als ich mein Diplom gemacht habe, kam mein Diplombetreuer Kurt Dehnicke, auf mich zu und fragte, ob eine akademische Laufbahn das Richtige für mich wäre. Das war der entscheidende Impuls. Jetzt kann ich Menschen unterrichten, die ich nicht mehr von meinem Fach überzeugen muss, sondern die meine Begeisterung teilen.

    An welchen Forschungsschwerpunkten arbeiten Sie hier an der Universität Leipzig?
    Was ich mache ist interdisziplinär. Am Institut für Anorganische Chemie entwickeln wir kleine Moleküle, die dann in vielen Bereichen Anwendung finden. Ein Bereich ist die Katalyse, welche in der Industrie benötigt wird. Katalysatoren helfen, chemische Bindungen zu knüpfen oder zu brechen, indem sie die benötigte Energie reduziert wird. Ein anderer Bereich sind die Materialwissenschaften. Aber auch in der medizinischen Chemie forschen wir. Metallverbindungen kann man nutzen, um Antitumormittel herzustellen. Das ist nichts neues, aber wir wollen die Nebenwirkungen senken und dafür sorgen, dass die Medikamente nur auf die Krebszellen Einfluss nehmen.

    Sie haben auf der ganzen Welt gelernt, gelehrt und geforscht. Was ist an der Forschung in Leipzig anders?
    In Deutschland hält man Bildung für wichtig. Hier fühlen sich alle dazu verpflichtet, dieses soziale Netzwerk durch Steuern zu finanzieren. In anderen Ländern dagegen gibt zum Teil es extrem hohe Studiengebühren. Ich finde, Bildung muss frei sein. Im Ausland hatte ich den Eindruck, dass die Universität mehr als Dienstleistungseinrichtung gesehen wird. Hochschullehrer werden bezahlt, damit sie Studierenden etwas beibringen, und diese Leistung fordern die Studierenden auch ein. Ich verstehe Ausbildung als ein Miteinander. Es geht nicht nur um den Abschluss, es geht um die Sache.
    Als ich damals nach Leipzig gekommen bin, war hier eine Aufbruchstimmung. Die Leute hatten das Gefühl, man kann hier Dinge anders und besser machen. Man war offen für neue Ideen und das ist bis heute so in höherem Maß in den neuen Bundesländern, als in den alten. Sicherlich auch, weil hier nach der Wende vieles neu geregelt werden musste. Chemie ist kein NC-Fach, deshalb fangen erst einmal viele Erstsemester an zu studieren. Dass es zum Studienende hin immer weniger werden, liegt sicherlich auch daran, dass es in der Chemie eine hohe Präsenzzeit gibt. Ungefähr die Hälfte der Zeit ist praktische Arbeit im Labor. Im ersten Semester sind die mehr als 50 Prozent der Studierenden Frauen. Mit dem Grad des Abschlusses werden es immer weniger. Wenn eine Frau schwanger wird, sollte sie nicht mehr im Labor arbeiten. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum manche Frauen das Gefühl haben, dass man kann Familie und Beruf in der Chemie nicht gut kombinieren kann. Es gibt immer noch nicht genug Vorbilder, die zeigen, dass das möglich ist. Ich habe in meinem Arbeitskreis Frauen, die promoviert und Kinder bekommen haben. Es ist nicht einfach, aber es geht.

    Was könnte man generell und die Universität im Besonderen tun, um Studierende und vor allem Frauen mehr zu unterstützen?
    Die Universität tut schon sehr viel. Man ist sich der Chancenungleichheit bewusst und es ist auch in der Politik angekommen, dass man Frauen in den Naturwissenschaften mehr fördern muss. Als ich in Leipzig angefangen habe war das gar kein Thema. In Ostdeutschland haben Frauen genauso gearbeitet wie Männer. Jetzt ist Gleichberechtigung aber zu einem Thema geworden, über das viel gesprochen wird und ich denke wir haben mit Georg Teichert einen sehr engagierten Gleichstellungsbeauftragten. Vor ein paar Wochen fand an der Fakultät für Chemie und Mineralogie das Global Women’s Breakfast statt. Dort waren mehr als 30 Chemikerinnen in Leipzig versammelt. Per Skype waren wir mit Frauen auf der ganzen Welt vernetzt. Das war ein erster Schritt, ältere Generationen mit jüngeren zusammenzuführen und die Möglichkeit zu geben Fragen zu stellen. Für Deutsche ist das Glas immer halb leer und vieles wird negativ gesehen. Wir sollten Dinge positiver sehen.

     

    Foto: Annika Seiferlein

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