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  • „Man kommt jedes Mal in Erklärungsnot“

    Nhi Le nennt sich selbst „Bloggerin, Speakerin und Moderatorin“. Mit ihrer Arbeit will sie die Debatten rund um Sexismus und Rassismus antreiben und für diese Themen sensibilisieren.

    Auf Podiumsdiskussio­nen, in Workshops, als freie Journalistin und auf ihrem Blog beschäftigt sich die 24-Jährige mit diesen Themen, die ihr auch in ihrem Alltag  immer wieder begegnen. student!-Redakteurin Han­­­­na Lo­hoff hat mit ihr über die aktuelle #vonhier-Debatte auf Twitter sowie Alltagsrassismus in Deutschland und den USA gesprochen.

    student!: Unter dem Hashtag #vonhier wird momentan auf Twitter über Alltagsrassismus disku­tiert. Auch du hast dich an der aktuellen Diskussion beteiligt, bloggst aber schon seit Jahren über dieses Thema. Hast du das Gefühl, dass die Diskussion durch den Hashtag neue Aufmerksamkeit bekommt?

    Nhi Le: Ja, dieser Hashtag gibt dem Thema Alltagsrassismus mehr Sichtbarkeit und Öffentlichkeit. Denn wenn es einen Hashtag zu einem bestimmten Thema gibt, ermutigt das die Leute, ihre eigenen Erlebnisse zu teilen. Schreibt man nur vereinzelt darüber, dann hat das nicht so eine große Wirkungskraft, als wenn viele Personen laut werden. Wenn man merkt, dass so viele andere Menschen das Gleiche durchmachen, fasst man den Mut, sich selbst dazu zu äußern. Deswegen würde ich auf jeden Fall sagen, dass es bereits viel Aufmerksamkeit gegeben hat.

    Es gibt viel Gegenwind in der Diskussion. Einige Menschen sehen es nicht ein, Gespräche, in denen es um die Herkunft von Personen geht, als rassistisch zu bezeichnen, sondern sprechen von „Neugier“. Was entgegnest du ihnen?

    Bei der Frage „Wo kommst du wirklich her?“ schwingt ziemlich viel mit. Da ist die Unterstellung, dass man gar nicht deutsch sein kann und der Mechanismus, dass man immer als anders gesehen wird und anders gemacht wird. Es bleibt ja dann meist nicht bei der Frage. Wenn man dann zum Beispiel antwortet „Ich komme aus Leipzig“, stellt das die Leute nicht zufrieden. Das Rassistische daran ist, dass man sich so lang nicht mit einer Antwort zufriedengibt, bis man dieses vermeintlich Nicht-Deutsche, dieses Anderssein, erbohrt hat. Erst dann wird eventuell lockergelassen. Einerseits ist es Tatsache, dass man seinem Gegenüber gar nicht zugesteht, dass dieses deutsch sein kann – aufgrund des Namens oder des Aussehens. Oft schwingt auch Aggression mit. Leute, die immer wieder nachhaken und nachbohren, merken häufig gar nicht, dass sie mit einer Vehemenz auftreten, die so wirkt, als hätten sie ein Recht darauf, alles über die Biografie des anderen zu erfahren. Das überschreitet Grenzen. Es ist ja nicht gegeben, dass das Gegenüber darauf antworten möchte. Es ist eben ein sehr privates Thema. Ich würde auch nicht erzählen, was die drei Familiengenerationen vor mir gemacht haben, wenn ich eine Person gerade erst kennenlerne.

    Bloggerin Nhi Le sitzt an einem Tisch; links im Bild student!-Redakteurin Hanna Lohoff

    „Dass es Alltagssexismus und -rassismus gibt, steht nicht zur Debatte. Das ist so. Und man muss eben weiter daran arbeiten.“

    Hast du persönlich in dieser Hinsicht schon negative Erfahrungen gemacht?

    Ich glaube, ich habe mehr Erfahrungen damit gemacht, als mir lieb ist – in den verschiedensten Ausprägungen. Das zieht sich auch durch meine schreibenden Tätigkeiten. Ich habe das in Tweets, Slam- und Blogbeiträgen, also auf verschiedenen Wegen, verarbeitet. Denn wenn einem diese Frage einmal gestellt wird, kann man das noch wegstecken. Aber es passiert immer und immer wieder. Das ist es auch, was das Ganze so nervig macht. Oft nimmt das Gegenüber darauf gar keine Rücksicht. Es ist so, als würde man jedes Mal wieder in Erklärungsnot kommen und in eine Jetzt-Rechtfertige-Dich-Mal-Position gedrängt werden.

    Die #vonhier-Debatte ist noch relativ jung und das Ausmaß davon, wie viel sie im Bewusstsein und im Diskurs über Rassismus verändern wird, lässt sich schwer einschätzen. Bei anderen Themen wie Feminismus und Sexismus gab es in der Vergangenheit Hashtag-Debatten von enormem Ausmaß – das berühmteste Beispiel ist #MeToo. Denkst du, dass Soziale Medien ein guter Anstoß für Diskussionen sind und einen geeigneten Ort der Debattenführung darstellen?

    Ich denke, dass Hashtags und Soziale Medien eine gute Möglichkeit sind, eine Debatte anzustoßen. Aber dauerhaft sollte man Diskussionen nicht nur im Internet führen. Wir wissen ja alle, dass dort viele menschenverachtende Phänomene häufig auftreten und dass die Debattenkultur im Netz sehr vergiftet ist – da muss man sich nur mal die Kommentarspalte der LVZ ansehen, obwohl das ein sehr extremes Beispiel ist. Die Zugänglichkeit und Niedrigschwelligkeit der Art und Weise, wie man sich im Internet äußern kann, ermutigt viele Leute. Man muss also nicht unbedingt Redakteurin oder Redakteur einer Zeitung sein, sondern kann sich bei Twitter anmelden und dort über seine eigenen Erfahrungen schreiben. Von daher ist es schon gut und wichtig, Debatten anzustoßen, aber langfristig können gesellschaftliche Debatten nicht nur im Netz geführt werden.

    Du bist erst kürzlich von einem Studienaufenthalt in Ohio in den USA zurückgekehrt. Konntest du bezogen auf Rassismus im Alltag einen Unterschied feststellen?

    Ich war schon vorher in den USA und kenne verschiedene Teile des Landes. Nun habe ich ein Mastersemester dort studiert. Ich war in einer sehr kleinen Universitätsstadt in Ohio, im mittleren Westen und sehr ländlich. Dennoch wohnen in der Stadt einige in­ter­nationale Leute. Ich wurde dort natürlich auch gefragt, wo ich herkomme. Dann habe ich gesagt, dass ich aus Deutschland bin und dann war’s das. In Deutschland wäre dann direkt wieder gekommen: „Das meine ich gar nicht. Wo kommst du denn wirklich her?“ Da kann man dann wie bei einem Flussdiagramm 15 weitere Fragen hinterherschieben, die garantiert gestellt werden. In Ohio hat man sich einfach mit meiner Antwort zufriedengegeben.

    Wie schätzt du die Debatte über Themen wie Feminismus und Sexismus in den USA im Vergleich zu Deutschland ein?

    Ich wurde in den sieben Monaten Aufenthalt zum Beispiel nie gecatcallt (anzügliches Pfeifen oder Hinterherrufen auf der Straße, Anm. d Red.) oder auf der Straße belästigt. Das bedeutet nicht, dass es in dem Land keinen Sexismus gibt. Das war einfach nur eine sehr erleichternde Erfahrung für mich. Die USA sind nicht frei davon, aber dort erkennt man im öffentlichen Diskurs an, dass es Probleme gibt. Dass es Alltagssexismus und -rassismus gibt, steht nicht zur Debatte. Das ist so. Und man muss eben weiter daran arbeiten. Ich denke, dass man hier in Deutschland viel mehr aufarbeiten muss. Hier spricht man zum Beispiel immer noch von der MeToo-Debatte und nicht von einer Bewegung. Und in einer Stadt wie Leipzig wird nicht eingesehen, dass es Alltagsrassismus gibt. Leipzig wird von vielen immer als eine sehr weltoffene Stadt gesehen und gilt ein bisschen als das Paradies in Sachsen, aber das ist es nicht. Es ist hier vielleicht nicht so schlimm wie in Chemnitz oder Dresden, aber es ist alles andere als weltoffen. Ich habe das Gefühl, dass sich die Leute seit Legida mehr trauen und auch auf offener Straße rassistische Dinge rufen.

    Denkst du also, dass das Rassismusproblem in Ostdeutschland, speziell in Sachsen, besonders stark ist?

    Ich finde auf jeden Fall, dass Alltagsrassismus in Sachsen beziehungsweise in Ostdeutschland nochmal krasser ist. Es ist aber falsch zu sagen, nur der Osten habe Probleme, denn das stimmt nicht. Wenn ein Land ein Rassismusproblem hat, dann nicht nur an einem bestimmten Ort. Aber in Ostdeutschland ist es eben besonders heftig und auch speziell in Sachsen. Es ist eigentlich etwas ironisch, denn gerade im Osten von Deutschland gibt es nicht besonders viele ausländische Menschen und es gibt auch vergleichsweise wenige nicht-weiße Deutsche. Dennoch ist der Rassismus gegen diese wenigen Leute viel stärker. Im Hinblick auf die Landtagswahl, die wahrscheinlich recht erschreckend ausfallen wird, ist es in diesem Jahr besonders wichtig, Leute zu mobilisieren, Initiativen gegen rechts und andere zivilcouragierte Organisationen zu unterstützen.

    Wie kannst du mit deiner Arbeit die Debatten rund um Sexismus und Rassismus antreiben?

    Ich versuche, auf verschiedene Art und Weise in meinen Projekten für die Themen Alltagsrassismus und -sexismus zu sensibilisieren. Als Bloggerin habe ich einfach so angefangen, darüber zu schreiben und das findet auch immer noch nebenbei statt, jedoch eher als Hobby. Als Speakerin bin ich bei Podiumsdiskussionen, gebe Vorträge und leite Workshops zu den Themen – momentan meistens zu Feminismus und Medienkultur. Ich arbeite auch als freie Journalistin.

    Was ist dein aktuelles Projekt?

    Mein aktuelles Projekt heißt Masterarbeit. Ich habe schon im Bachelor angefangen, mich neben meinem Studium selbst­ständig zu machen, aber bei all der Arbeit darf ich nicht vergessen, dass ich vorrangig Studentin bin. In meiner Forschung beschäftige ich mich auch mit feministischen und medien­kul­tu­rellen Themen. In meiner Masterarbeit wird es zum Beispiel um Diffamierungs-, Hass- und Traumaerfahrungen ge­hen, die Journalistinnen online gemacht haben.

     

    Titelbild: Annika Seiferlein

    Beitragsbild: Nina Lischke

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