Single Ladies in Double Nation
Beim Theaterstück „Bräute“ langweilt man sich nicht
Im Theater der Jungen Welt darf nicht geraucht werden. Da saßen wir beide in der ersten Reihe dieses Theaters an einem Samstagabend. Im Großen Saal gleicht die Bühne einem Laufsteg und so fühlte ich mich zu Beginn in eine Fashion-Show versetzt, mit nicht allzu großer Begeisterung. „Bräute“ klang nicht gerade nach einem Geniestreich. Außer die weißen Flecken auf dem Laufsteg, die zur Orientierung der Schauspieler dienen und gar im dunkeln lumineszieren, weckte zu Beginn nicht viel mein Interesse.
Doch dann! Interesse! Einer der Schauspieler erregte meine Aufmerksamkeit. Es war, so erfuhr ich später, Carl oder Karl Miller (eher Carl, er ist Brite). Sein Körper in Kombination mit seinem Kostüm erzeugten die geradesten Linien, die ich je bei einem menschlichen Fleischberg sehen durfte. Unaussprechliche Ästhetik. Wie der nette Zwillingsbruder des augenlosen Monsters aus Pan’s Labyrinth. Dazu seine langen Interesse-weckenden Monologe mit kurzen Sätzen: ”Kein Platz”, “Keine Hände”,“Kein Impuls” “Kein Vertrauen”.
Dann gab es noch einige störende Aspekt im Verlaufe des Abends. Da war der immer vorhersehbare andere männliche Charakter des Stückes. Ein breakdancender gewöhnlicher Geschwätzwind erzeugender Gewöhnlicher, der nicht viel zu bieten hatte und daneben noch die gleichen/selben H&M-Boxers trug wie mein Mitbewohner. Dazu passte auch der immerwährende Ton des Theaterstücks: Stereo(typisch). Das gesamte Stück schien mir häufig vorhersehbar. War es dann auch und so wirkten die meisten Handlungen/Dialoge/Monologe unausgereift. Wie diese Rezension, eher kurzfristig geplant, nicht langfristig. Eben solche Geschehnisse, die schon durch alle Theater Europas wandern durften.
Also warum fand ich das Theater dann aber doch reizend? Denn irgendwie kam keine Langweile während der Vorführung in meinem Inneren auf. Ein bisschen war es vielleicht die Musik. „Das Sprechen ist vor der Schrift, vor der Sprache aber ist die Musik“ (Mozart?). So erfüllte meine Ohren „Ich ging einmal spazieren“, irgendein mir durch Zufall bekanntes Deutsches Volkslied, und ein Lied aus Carl Orff’s Musica Poetica. Und dann war da noch die wunderschöne Hauptdarstellerin, die mit Ihrer hellenischen Art perfekt in die erste Episode „Platons Kugelmensch“ hinein passte. Doch während des Tanzstückes zu Beyonce’s „Single Ladies“ wurde Ihr der Rang in meiner persönlichen Rangfolge abgelaufen. Sie lief Ihr den Rang ab. Sie, eine andere Darstellerin, hatte schon zuvor mein Interesse geweckt. In einem Monolog über ungewollte gewaltvolle sexuelle Praktiken machte Sie ein recht gute Figur, wenn man das im selben Satz schreiben darf. Teil des Monologes: Er schreit kurz vorm ejakulieren, dass er noch nicht fertig ist; Sie: „Fertig mit was?“ Wenn Sie diese Frage rhetorisch meint, dann tut es mir leid: Fertig mit seinem Sex – ist die Antwort! In Unbetracht des Vorherigen gewann Sie im Vergleich die „Single Ladies“- Performance, doch tut Ihr das nichts ab. Nur meine persönliche Fixierung wanderte ab von Ihr.
Neben dieser Ihr-Sie Verwirrung möchte ich noch einmal zurückkehren zu Carl/Karl. In seiner Solo-Episode war ich jedenfalls teilweise am Höhepunkt meiner Aufmerksamkeit angekommen. In seinem Monolog betitelte er Pärchen als „Zweier Nationen“, die ihre eigene Sprache und Kultur haben. Die Idee finde ich gut;Good;gut;Good (2x) – na klar, ich habe doch seit 3 Monaten wieder eine Beziehung und schwebe auf der rosaroten Nationen-Brille. Also letzte rhetorische Frage: Wie war das Stück? Als Antwort dient: „Der Dummkopf meint, man könne und müsse über alles reden“ – Also was bringt es uns und euch, wenn ich das Theater empfehle oder eben nicht – gesagt sei nur, ich wurde nicht gelangweilt. Ob dies am nicht verrichteten Eintrittspreis, mentalem Nebel oder an hochkalkuliertem, hochkontrolliertem, hochpassioniertem Karl/Carl lag, spielt deshalb keine Rolle. Wenn ihr gereizt seid, schaut es euch an.
Nächste Aufführung: 9. Mai, Theater der Jungen Welt
Foto: Tom Schulze


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