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  • Gummimuschis und Bürgerwehren

    Vier Leipziger bringen „Wörterbuch des besorgten Bürgers“ heraus

    Fast zeitgleich mit dem Erscheinen des „Wörterbuchs des besorgten Bürgers“  beschließt Legida nicht mehr in Leipzig zu laufen. Doch nur weil die „Sorge“ nicht von der Straße ist, ist sie noch lange nicht aus den Köpfen und vor allem der Sprache der Menschen verschwunden. Diese besondere Sprache haben Nancy Grochol, Franziska Reif, Robert Feustel und Tobias Prüwer eingehend studiert. Feustel ist Dozent für Politikwissenschaften an der Uni Leipzig, Prüwer schreibt für das Stadtmagazin „kreuzer“, Grochol und Reif arbeiten beide als freischaffende Lektorinnen und Autorinnen. Die vier sind alle mit der Stadt Leipzig verbunden und führen gemeinsam den Sprachlos-Blog, auf welchem sie die Sprachverwirrungen der Gegenwart – meist Reden und Mitteilungen der AfD – auseinandernehmen.

    Unter anderem äußerte Robert Feustel sich auf dem Sprachlos-Blog auch zu der umstrittenen Pressemitteilung des „Conne Island“ vom Oktober 2016, in der der Club auf seine Probleme mit Geflüchteten hinwies. Auf dem Blog wurde das „Conne Island“ mit Pegida verglichen und den Betreibern Kulturrassismus vorgeworfen. Der Text damals sollte laut Feustel ein „freundschaftlicher Klapps auf den Hinterkopf“ sein und darauf aufmerksam machen, dass bestimmte, reaktionäre Deutungen dieser Tage eine erhebliche Sogwirkung entfalten.

    Diese Beschäftigung mit Politik und Sprache mündete nun im „Wörterbuch des besorgten Bürgers“, das im Dezember im Ventil Verlag erschienen ist. Die erste Lesung in Leipzig aus dem Buch fand am 8. Februar statt – ausgerechnet im „opportunistischen“ Conne Island.

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    Fotos: rh

    Das von den Bloggern herausgegebene Buch hält, was der Titel verspricht. Es werden 150 Wörter aus dem Dunstkreis von Pegida, AfD und Reichsbürgern erklärt und (selbstverständlich) bewertet. Alle Einträge durchzieht ein beißend ironischer Ton, der den Hass und die Abstrusitäten des Wortschatzes der „Besorgten“ auf die Schippe nimmt. Oft wird die Herkunft der Wörter erklärt und mit welchem Selbstverständnis Pegida und ähnliche diese benutzen. Beispiele wären die sogenannten „Rapefugees“, die Forderung nach Selbstjustiz durchsetzenden „Bürgerwehren“ oder die Angst vor der großen „Verschwulung“. Letzteres bezeichnet die diffuse Sorge, dass der verweichlichte deutsche Mann seine Wehrhaftigkeit in diesen schweren Zeiten verliert. Aber auch das Wort „Gummimuschi“ hat es in das Wörterbuch geschafft, nachdem die Pegidistin Tatjana Festerling vor „Frühsexualisierung“ im Kindergarten mittels „Gummimuschi und Plüschpimmel“ eindringlich warnte.

    Die Herausgeber des Wörterbuches hatten sich für ihre Buchvorstellung im „Conne Island“ ein unterhaltsames Konzept ausgedacht: Sie haben multimedial mit verschiedenen Sprecherrollen die unterschiedlichen Wortschöpfungen des Besorgtensprechs aufbereitet, so dass teilweise auch altbekannte Gesichter wie Björn Höcke im O-Ton gehört werden konnten. Feustel, der in Lehrveranstaltungen in der Uni in der Regel nur gepflegtes Hochdeutsch spricht, konnte für diese Leseperformance auf seine Sächsischkenntnisse zurückgreifen, mit welchen er genüsslich die Parolen der Wutbürger nachahmte.

    Dem Autorenkollektiv hätte etwas mehr Proben bestimmt nicht geschadet, dann wäre es auch nicht zu Mikrofonausfällen und recht vielen Versprechern gekommen. Dies sind allerdings Kleinigkeiten angesichts einer unterm Strich toll umgesetzten Lesung.

    Das Publikum des linken Kulturzentrums in Connewitz war ein dankbares. Zur geplanten Diskussion im Anschluss der Lesung ist es nicht gekommen, es gab keine Wortmeldungen. Die Zuhörer waren wohl alle mit dem sprachkritischen Kampf gegen Rechts einverstanden. Vielleicht wollte sich aber auch einfach nur niemand einen „freundschaftlichen Klapps auf den Hinterkopf“ abholen.

    (Artikel zuletzt geändert: 11.02.)

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    Ventil-Verlag
    152 Seiten
    14,00 €(D)
    ISBN 978-3-95575-068-8

    Hier der Link zum Buch: https://www.ventil-verlag.de/titel/1770/woerterbuch-des-besorgten-buergers

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