Eine Massenorgie in Aleppo, Gottes Lebensgefährte Gabriel und die heimliche Flohmarkt-Hauptstadt
Am Mittwoch fand im Audimax der Uni Leipzig der erste „Campus Slam“ statt. Neben lustigen Anleitungen, wie man etwa seine eigene Girl Group gründet, gab es auch reichlich tiefsinnige Stücke zu hören
„Alle, die Geisteswissenschaften studieren, rufen ‚Arbeitslosigkeit‘!“, rief die Moderatorin Leonie Warnke ins Publikum, um die Stimmung aufzulockern. Gestern, am 11. Januar 2017, fand vor etwa 800 größtenteils Studenten im Audimax der erste „Campus Slam“ an der Leipziger Universität statt.
Der „Campus Slam“ folgt wie jeder andere Poetry Slam immer den selben folgenden Regeln:
- Nur selbstgeschriebene Texte
- Ein Zeitlimit (gestern sechs Minuten)
- Keine Requisiten – nur etwas zum Ablesen
- Respect the poet – wer die Bühne mit Würde betritt, soll sie auch mit Würde wieder verlassen
Der Slam gestern war Turnierähnlich aufgebaut: Es gab drei Gruppen à drei Slamer, aus jeder Gruppe zog einer ins Finale ein. Am Ende gab es zwei Gewinner, die Plätze drei bis neun wurden nicht vergeben.
Den Anfang machte die Leipzigerin Louise Kenn, die deutschlandweit auf Peotry Slams auftritt und gleichmal allen anwesenden Pärchen ein feines „fickt euch!“ entgegenschmetterte. Ihr vorgetragener Text trug den Namen „Leon und Louise“. In nur sechs Minuten hangelte sie sich gefühlstechnisch von himmelhochjauchzend bis tiefbetrübt und am Boden zerstört. Leon hat Louise verlassen. Leon ist Louise total egal – das versucht sie sich zumindest immer wieder einzureden, wird aber jedes Mal von ihren aufkommenden Gefühlen eingeholt. „Und ich höre auch nie unsere Lieder, und selbst wenn, dann weine ich gar nicht. Und ich habe kein einziges Mal seit unserer Trennung zu dir masturbiert. Und ich habe seit unserer Trennung auch nie, nie wieder einen Text über dich geschrieben.“
Auf die Liebeskummer-Louise folgte Malte Rosskopf, der sich immer sicher war, nie neidisch zu sein und dann in seinem Text in Hamburg seinen alten Schulkameraden Bernd wiedertrifft. Bernd war damals das, was man schnell einen Versager nennt. So hat Malte zu Schulzeiten nur eine vier bekommen, damit Bernd nach unten hin noch auf die Notenskala passte. Und trotzdem ist Bernd Jahre später mit seinem Leben zufriedener. „Er hat aus seinen Möglichkeiten einfach mehr gemacht als ich aus meinen. Und ich wurde neidisch. Einfach weil das leichter war, als sich mit mir selber auseinanderzusetzen.“ Im weiteren Verlauf bemerkt Malte, dass nichts so sicher ist wie es zu sein scheint. „Ich war mir immer sicher, Teil einer offenen Gesellschaft zu sein – aber wow, wenn das jetzt zu offen ist müssen wir da mal zumachen, ne! Das ist so ein bisschen wie: Du darfst alle deine Freunde zum Geburtstag einladen. Es sei denn, du hast mehr als fünf Freunde.“
Nach Malte ist Friedrich Herrmann aus Jena mit seinem Text „das erste Mal“ an der Reihe. Friedrich ist einer der drei Finalisten. Der darauffolgende Micha Ebeling berichtet in seinem Text „von jetzt an manisch“ von russischer Soljanka zu Silvester. Leticia Wahl aus „Westdeutschland – Marburg“ begeistert mit einem sehr tiefgründigem Text, ins Finale schafft es aber trotzdem David Weber mit „die Fegefeier“. David ist der Auffassung, dass Gott schwul ist, dass er mit seinem Lebensgefährten Gabriel im obersten Stock in einer Plattenbausiedlung im Himmel lebt und dass der Heilige Geist Gottes Labrador-Welpe ist.
Nach einer 15-minütigen Pause und einer kurzen Werbeeinlage seitens Event-Sponsor livelyrix trägt Marsha Richarz 15 Punkte unter dem Titel „how to be a girlgroup“ vor.
An vorletzter Stelle vor dem Finale ist Nhi Le an der Reihe. Ihr Name bedeutet Phönix, sie selbst beschreibt sich eher als Pinguintyp. Ihr Text handelt vom Studium, speziell vom ersten Semester, ist zugleich eine Hommage an Leipzig und trägt den Titel „mit dir macht es in der Uni am meisten Spaß“. Vorstellungsrunden sind für sie „die Hölle der aufgezwungenen Kommunikation.“–„Das erste Semester ist zum Feiern
Letzter vor dem Finale ist Aidin Halimi Asl, der auch in selbiges einzieht, mit einer Schmähkritik gegen sich selbst. Im Finale dann lässt Aidin das Publikum wissen, was er tun würde, wenn er Gott wäre. David teilt 15 Vorsätze unter dem Motto „die Sterne sind ganz leicht“ mit den Zuhörern und Friedrich Herrmann berichtet von fünf Szenen einer besseren Welt. Eine davon: „Guten Abend meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau. Im Herzen Aleppos ist es am Morgen zu einer Massenorgie gekommen. Offenbar steigerten sich die Friedensgespräche zwischen Präsident Assad und Vertretern des IS sowie zahlreichen weiteren Gruppierungen im Laufe des Tages zu einem ausgelassenen Gelage.“
Die Gewinner Friedrich Herrmann und Aidin Halimi Asl wurden beide mit je einer Flasche Wein verabschiedet. Allen Unentschlossenen sei an dieser Stelle geraten, die Klappmesser einzupacken und heute noch um 20 Uhr ins Peter K. an der Eisenbahnstraße zur Lesebühne „sanfte Eskalation“ zu kommen. Weiterhin finden im Januar und über das ganze Jahr verteilt zahlreiche Slams in Leipzig statt, beispielsweise der Westslam oder die Lesebühne Schkeuditzer Kreuz. Zudem findet am 31. Januar 2017 um 19.30 Uhr in der Alten Stadthalle eine Poetry Slam TV-Aufzeichnung unter dem Namen SlaMdr statt.


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