„Wir haben die Aufgabe, geile Musik zu machen“
Die Band „2ersitz“ weiß, was sie will.
„2ersitz“ sind das, was passiert, wenn sich Reggae, Hip Hop und Pop treffen. Theoretisch. Denn wer sich auf das Schaffen der sechsköpfigen Band aus Leipzig einlässt, dem wird schnell klar, mit was er es tatsächlich zu tun hat: Musik, die zu vielfältig und zu wertvoll ist für Kategorisierungen.
student!-Autorin Ariane Seidl hat sich mit Sänger Johannes Reinecke (kurz: Joke) getroffen und mit ihm über Ziele, Statements und Authentizität gesprochen.
student!: Wie ist „2ersitz“ entstanden?
Joke: 2006 haben dieser Typ, Lauritz, und ich gedacht: Wir machen jetzt beide Musik. Ich hab‘ Musik gemacht und er noch nicht so wirklich, aber wir haben uns ganz gut verstanden.
Dann haben wir 2ersitz gegründet. Haben ein Album aufgenommen, eine Tour eines Reggae-Künstlers durch Deutschland begleitet, sind 2010 nach Leipzig gezogen und haben dann 2012 Leute kennengelernt, die Musiker sind. Dann haben wir gesagt: „Gut, wir haben gerade ’ne Konzertanfrage bekommen; in zwei Wochen sollen wir in Berlin spielen, fette Party, wir wünschen uns mehr Bums. Wollen wir eine Band gründen?“
Innerhalb von zwei Wochen haben wir dann ’ne Band und ein Programm auf die Beine gestellt und an diesem Abend Ende 2013 war klar: Das ist jetzt ein festes Projekt. Inzwischen ist es die ganze Band. Die meisten sind wirklich von Anfang an, also seitdem wir in Leipzig sind, dabei.
Es war ’ne Zeit lang so, dass es als Kollektiv fungiert hat, wir viel nach Sounds gesucht haben und uns immer wieder irgendwie neu entdeckt haben. Inzwischen wissen wir genau, was für eine Instrumentierung wir wollen und mit was für Leuten wir zusammenarbeiten.
student!: Wie würdest du den Bekanntheitsgrad von „2ersitz“ selbst einschätzen?
Joke: Das ist sehr schwierig. Weil „bekannt“ heißt ja nicht, dass die Leute, die uns kennen unsere Musik hören. Die meisten Leute sagen tatsächlich. „Ah, 2ersitz – das habe ich schon mal irgendwo gehört.“ Unser Bekanntheitsgrad, ich weiß nicht. Es zählen Klicks, ne? Das ist die neue Währung: Klicks und Likes. Was das angeht sind wir aufm Anfang, glaube ich. Wir sind in Leipzig ein Name. Wir haben bei der Tour auch einige Leute mit ins Boot geholt, aber es ist alles noch sehr im Aufbau. Aber jetzt gerade sind wir im Begriff das Ganze zu vervielfachen.
student!: Gibt es den typischen „2ersitz“-Hörer und wenn ja, wie ist der so?
Joke: Überhaupt nicht. Gibts gar nicht. Es sind schon viele Studenten oder Leute in diesem Alter.
Unsere Facebook-Statistik sagt, dass es Frauen im Alter zwischen 18 und 25 sind – was sich aber bestimmt auch darauf zurückführen lässt, dass wir so einen schönen Saxophonisten haben. Oder das wir alles Typen sind. Aber es gibt keinen typischen Hörer.
Ich habe Leute auf Konzerten erlebt, so Metaller mit Lederkutten und so, die danach zu uns gekommen sind und gesagt haben: „Ich habe mich gerade musikalisch komplett neu erfunden. Das war als wäre ich die ganze Zeit hetero gewesen und jetzt gerade Sex mit ’nem Mann gehabt hätte“ – so hat der Typ halt reagiert. Es gibt Leute, die das wirklich in die Welt tragen und wirklich davon voll überzeugt sind. Vor kurzem habe ich eine Mail bekommen von jemandem, der in den Iran gereist ist und da CDs verteilt hat. Es gibt keinen exakten Zuhörer. Der, der das Label leitet mit dem wir jetzt zusammenarbeiten, der hat seinem Vater das gezeigt und das ist immer so ’n Kriterium für ihn. Was sein Vater gut findet, das hat Potential. Und das ist ein alter Mann. Der hört sich das halt auch an.
student!: Das spricht doch für euch, oder? Dass Ihr so eine breite Masse ansprecht.
Joke: Ich weiß nicht. Es gibt viele große Bands die so ein Schema verfolgen. AnnenMayKantereit hat es total auf die Studenten abgelegt – da gibt’s wenig Leute, glaube ich, die da so zum Konzert kommen, die keine Studenten sind. Kann gut sein, kann aber auch schlecht sein.
student!: War es denn euer Plan, eure Musik in irgendeine Richtung verlaufen zu lassen oder habt ihr gesagt: „Wir machen, auf was wir Bock haben!“?
Joke: Das ist ein Prozess. Wir haben angefangen mit allem. Das findet sich teilweise noch in unseren Live-Shows wieder, aber inzwischen sind wir schon auf den Trichter gekommen, dass das Garagenbands machen, dass uns das nicht erfüllt. Wir waren lange auf Suche nach „Was für Musik machen wir? Lass uns mal das ausprobieren, lass uns mal das ausprobieren.“, aber inzwischen haben wirs gefunden und es ist halt kein Mix mehr aus „Wir machen Reggae-Latin-Pop-sonstwas. Hier, chinesische Trommelkünste machen wir auch noch“. Das ist nicht zielführend. Wenn ich ein Medium gefunden habe, dann habe ich das zu nutzen. Inzwischen sind wir jetzt auf dem Weg, dass wir dieses Genre, diese Richtung haben und auch beibehalten werden, weil wir das sind.
Wir haben auch auf der Stelle getrampelt. Ich glaube, es gibt zu viele Musiker, die zu viele Erwartungen darin haben, was sie tun und davon viel zu viel halten. Die sind mehr damit beschäftigt, sich selbst zu feiern. Bei vielen fehlts einfach an Content. Es gibt so viele Lieder, die ich höre oder Bands, die ich live sehe, wo ich direkt gerne fragen möchte: Was willst du damit in mir auslösen? Was ist dein Standpunkt? Viele weigern sich davor, ’nen Schritt weiterzumachen. Leute, die nicht offen sind, deren Erfahrungen kann man auch nicht nutzen. Ich kann seit 20 Jahren Musik machen, aber wenn ich das für mich im stillen Kämmerlein mache, wird nicht so viel passieren.
student!: Du hast gerade den Genre-Begriff verwendet. Wie wichtig sind euch Genres? Es gibt ja Musiker, die nicht ständig in irgendwelche Schubladen gesteckt werden wollen.
Joke: Also ich als Musiker, ich hasse diese Frage auch. Genre – steck das mal da und da rein. Allerdings ist es für den Zuhörer ja ganz angenehm zu wissen „Ich geh‘ auf ein Hip-Hop-Konzert und ich geh‘ auf ein Reggae-Konzert“.
Was aber immer wieder überraschend ist, dass die Leute geflasht sind, wenn sie auf ein Hip-Hop-Konzert gehen und da auf einmal Pop erfahren und da voll drauf abgehen. Also heißt es, dass es auch nicht wirklich Bestand hat. Ich finde, Genre hat nicht mehr so sehr Bestand – das braucht nur das Musikbusiness. Vielleicht ist der bessere Ausdruck Szene statt Genre.
student!: Wie wichtig ist Euch Authentizität – in eurer Musik und in Musik generell?
Joke: Wenn man das nicht fühlt, was man macht und nicht so macht, wie man’s fühlt, dann braucht man’s nicht machen. Das ist klar. Ich kann ein ganz studierter Musiker sein, ich kann Dir alles rauf und runter singen, ich kann mit theoretischem Wissen genau das auslösen was ich in Dir erfahre – trotzdem wirst Du keinen Spaß haben zuzuhören oder zuzugucken. Das ist das A und O.
Geh auf die Bühne, setz Dich ans Schlagzeug und spiel mit aller Überzeugung, wirklich als wärst Du die beste Schlagzeugerin der ganzen Welt und die Leute werden’s feiern ohne Ende. Die Frage ist nur, wie Du Dich damit fühlst. Es ist ein existenzieller Bestandteil für einen Musiker, auf der Bühne oder im Studio so zu sein, wie er auch so ist.
student!: Du hast gerade schon über Konzerte gesprochen. Was macht ein Konzert zu einem guten Konzert?
Joke: Aus welcher Perspektive? Aus meiner Künstlerperspektive empfinde ich’s als geiles Konzert, wenn die Leute dahin kommen für Musik. Wenn sie auf ein Konzert gehen, sich bewusst sind, dass ich für die Musik hingehe. Es gibt auch Veranstaltungen, da läuft Musik so als Schmankerl neben – das wird kein gutes Konzert. Wenn die Leute Bock haben, wenn der Künstler Bock hat und wenn Leute, die Bock haben einfach offen sind, alles zu erleben, was man so erleben kann.
Ich geh‘ ja auch auf Konzerte. Mich macht ein Konzert richtig an, wenn ich ewig lang warte, bevor’s losgeht. Dann denke ich mir so, Oh Gott, warum muss ich hier so lange warten und irgendwann kommt dann so ’ne Spannung auf. Ich finds angenehm, wenn der Künstler rauskommt und mega präsent ist, so omnipräsent, einfach genau da ist. Der hat nicht gesoffen, der hat nicht gekifft, der ist da, schaut die Leute an, schaut ihnen in die Augen und vermittelt ’nen Stil. Das finde ich beeindruckend.
Wir haben auch schon Konzerte veranstaltet. Das Licht, der Sound. Es gibt sehr viele Faktoren.
student!: Bist du denn mit dem bisherigen Werdegang von „2ersitz“ zufrieden?
Joke: Ich bin nie zufrieden. Wenn wir ein geiles Konzert spielen, dann geh‘ ich runter und mecker‘ immer noch rum. Ich mecker‘ viel zu viel. Zufriedenheit ist halt keine Sache, die den Umständen entspricht oder mit den Umständen abzugleichen ist, sondern ist eine ganz eigene Sache. Wir haben mittlerweile wirklich Leute in der Band, die feiern mega das wir so kleine Erfolge haben. Hier, da mal gespielt – und die springen dann in die Luft und sagen: „Wie geil ist das eigentlich? Ist doch mega geil! Und dann sind hier so viele Leute, die uns zuhören und wegen uns gekommen sind. Hammergeil!“. Und dann gibt’s viele Leute, die sagen: „Komm, da geht noch mehr“.
Ich glaube, wir sind zufrieden mit dem, wie wir das machen. Einheitlich. Wie wir zusammen Musik machen. Wie wir uns treffen. Wie wir mit anderen Leuten arbeiten. Ich glaube, wir haben so ganz klare Ideale, die wir alle verfolgen.
student!: Das ist doch schon mal viel wert. Über die Vergangenheit von „2ersitz“ haben wir schon gesprochen. Wie geht’s dir, wenn du an die Zukunft denkst?
Joke: Ich bin mega gespannt. Ich freue mich voll, dass ich ’nen Weg erkennen kann, der super viel beinhaltet. Also nicht nur, dass sich das Team erweitert, sondern auch die Sicherheit von Fans, die sagen: „Wir sind dabei – egal, was kommt.“ Das lässt mich auf jeden Fall Luftsprünge machen. Wir haben mega Bock.Ich bin überhaupt nicht skeptisch was die Zukunft angeht mit dieser Band. Aber das kann man auch nur sagen, wenn man Leute hat, die alle ähnlich eingestellt sind. Wir reden auch darüber. So einmal im Jahr treffen wir uns und dann schreiben wir verdeckt auf ’nen Zettel, was wir machen wollen und wo wir hinwollen.
Jetzt mit dieser Labelgeschichte, da muss sich jeder diesem Schritt bewusst sein sich da zu verpflichten. Das betrifft meinen Wohnort, mein Einkommen, meine Freunde. Das betrifft alles. Ich hab‘ dann rumgefragt: „Überleg dir ganz allein für dich selbst, ob du Bock darauf hast.“ Und dann kommt von allen so: „Ja, auf jeden! Was ist das für ’ne Frage?“. Dann erst kann man sagen: Ja, okay.
student!: Stichwort Zukunft: Habt ihr ein bestimmtes Ziel? Irgendetwas, das ihr als Band unbedingt machen wollt?
Joke: Das wurden wir vom Label auch gefragt. Es gibt Ziele. Es gibt immer so abgesteckte Ziele. Wir treffen uns und sagen uns: Wo wollen wir dieses Jahr noch hin? Was machen wir nächstes Jahr? Was soll übernächstes Jahr am besten passieren? Aber das sind immer sehr fiktive Sachen – für ’nen Musiker. Für ’n Label sind das ganz klare Sachen.
Wir haben als Musiker nur die Aufgabe, geile Musik zu machen. Den Leuten was zu geben, was auch immer. Das ist nicht saisonabhängig. Das ist nicht abhängig davon, ob ich jetzt mit ’nem Label bin oder nicht. Ob ich mit Leuten zusammenarbeite oder ob ich das alles alleine mache. Unser Ziel ist es, gute Musik zu machen. Das andere ist alles fiktiv. Das kann passieren, muss aber nicht. Und das kann kein Ziel sein, wenn das nicht doch irgendwie ein bisschen Bestand hat.
student!: Du meintest ja, dass Bands eine Botschaft haben und übermitteln sollten. Wie wichtig findest du es, dass Bands eine politische Meinung haben?
Joke: Es ist wichtig, dass eine Band eine politische Meinung hat und das die Band diese Meinung auch vertritt. Ich mag Bands nicht, die plakativ Lieder singen, so: „Diese doofe AfD!“ oder „Pegida ist das Letzte.“ Das mag ich nicht so, weil das ist für mich kein Statement. Das ist einfach nur so ’ne blöde Phrase. Was steckt denn dahinter?
Es ist wichtig, dass die Leute sagen – in ihren Songs – das Liebe und Offenheit wichtig sind. Das ist ja auch schon politisch. Es gibt Musik, die nur zum Feiern da ist. Die sollte jetzt kein politisches Thema ansprechen. Am geilsten finde ich immer, wenn es Lieder gibt, die darauf zu übertragen sind, aber das nicht direkt ansprechen.
student!: Glaubst du, dass es da auch einen gewissen Druck in unserer Musikszene gibt? Dass durch die derzeitige politische Situation Bands gegenüber eine Erwartungshaltung besteht, ein politisches Statement zu äußern?
Joke: Wenn man ’nen Auftrag hat als Künstler, also einen politischen Auftrag, dann sollte man den wahrnehmen. Ich sehe mich als verantwortlich dafür, weil ich einen gewissen Einfluss habe auf gewisse Menschen und ich sehe mich verantwortlich dafür, auch gerade in dieser Umgebung, hier in Sachsen.
Aber ich find’s schon wichtig, da ’ne Stellung einzunehmen. Aber das ist für mich jetzt kein Kriterium zu sagen: „Okay, Du hast kein politisches Statement, Du bist ’ne schlechte Band.“ Politisch ist ja auch so ’n Ausdruck. Was ist das direkt? Ja klar, wenn ich jetzt irgendwie ’ne Partei erwähne? Ist das dann erst ein politischer Text? Wenn ich ein Gefühl vermittle von Nächstenliebe, ist das auch schon politisch?
Foto: Mathieu Daubin


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