Polarität in kontemporärer Pop-Musik
Die taufrische Veranstaltungsreihe RATE hat mit Zola Jesus und Ziúr am 1. September zur gewagten Abendveranstaltung ins UT Connewitz geladen.
Das UT-Connewitz scheint mit seinem mystisch-historischen Antlitz ein guter Ort für das kommende Spektakel zu sein. Polarität ist die Klammer, die hier alles zusammenhält. Der klassische Anblick der Bühne des Lichtspielhauses gepaart mit dem so-gar-nicht klassischen Ambiente intoniert das Thema des Abends. Auch das Publikum reflektiert diesen Eindruck. UT-Erstis seien auch unterwegs, wird mir von einem der Veranstalter zugeflüstert, die sich zwischen dem üblich punkigen Publikum des UTs bewegen. Dass Zola Jesus (Nika Roza Danilova) inzwischen zu einer richtigen Größe erblüht ist, zeigen die drei Merch-tragenden ZJ-Ultras, die sich schon sehr zeitig in der ersten Reihe verwurzelt haben.
Ziúr (Mika Risiko), der Voract, durchbricht die gemütliche Atmosphäre mit krassem industriellem Krach. Schnell wird klar, warum sie im April bereits in den Hallen des Instituts für Zukunft zugegen war. Ziúrs Set ist bedingungslos unbequem, geradezu instinktiv mechanisch in seiner technischen Versiertheit – dies jedoch ohne jegliche Stumpfhaftigkeit darzubieten. Ihr Spiel mit geloopten Samples, mal trappig, mal R’n’Big, zwischen den erbarmungslosen Beats, geht voll auf. Die Berliner Produzentin und DJ kreiert ein scheinbar anarchistisches musikalisches Gebilde, das sich doch nicht ohne System gibt – ein System nämlich, das aus ausgeprägtem musikalischen Gespür herrührt und das Klangerlebnis, je nach Präferenz, ingeniös tanzbar macht. Schön zu sehen ist, dass das teilweise eher überforderte Publikum sich mitreißen lässt und auch ab und an mal mit den Füßen tapst.
Auch Zola Jesus ist eine Kreation der Polarität, die bei der befremdlichen Kombination der Namensbestandteile aus Jesus Christus und dem naturalistischen Schriftsteller Émile Zola beginnt; Jesus als mysteriöser hoffnungstragender Pol, Zola als Pol, der die realen Schattenseite menschlicher Existenz darlegt. Die Ausprägungen ihrer Polarität wandern über die Dimensionen Zola Jesus‘ operngeschulter Stimme, die sich nach dem Ausbruch aus ihrer formalen Korrektheit sehnt, bis hin zu Zola Jesus‘ Vision eines Spagats zwischen Crust, Doom und Pop.
Zola Jesus‘ Performance ist gewohnt düster, exzentrisch-wild und dynamisch. Ihr weites schwarzes Hosenkleid wirkt wie zum Toben ausgelegt. Musikalisch legt sie Wert auf den divergierenden Klang ihrer Stimme, den sie durch häufige Akustik-Passagen manifestiert und durch den Wechsel zwischen sanften und extremen Phasen demonstriert. Ausgelöst zu werden scheint dies durch einen inneren Drang, ihre Stimme auf die Probe zu stellen. Schade war es deshalb besonders, dass einige technische Patzer und die Tonmischung, die noch zuvor bei Ziúr so überzeugt hat, Zolas stärkstes Gut an mancher Stelle in den Hintergrund gerückt haben. Wie auch auf ihren Alben (vor allem The Spoils) baut sie kleine musikalische Zwischenpassagen ein, die dem Auftritt einen sprunghaft, enigmatischen Charakter verleihen, den Zola Jesus auch optisch so gerne unterstreicht. Sie scheint es geradezu darauf anzulegen, eine gewisse Seltsamkeit zu verkörpern, wenn sie sich von der Bühne tief in die erste Reihe hinein beugt oder einmal quer durch die Menge wandert und darin verschwindet wie ein Kind im hohen Gebüsch.
Das UT präsentiert sich an diesem Abend von seiner besten Seite. Der Erstlingsstreich der Veranstaltungsreihe RATE ist ein voller Erfolg. Doch Zola Jesus könnte trotz eigenartiger sympathischer Erscheinung musikalisch noch weit mehr reißen.
Fotos: Lale Sabchi


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