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  • Für die Forschung auf der Straße

    Leipziger Wissenschaftler zählen weniger Legidademonstranten als die Polizei.

    Schnell füllten sich die Kommentarspalten der lokalen Medienwebsiten, als am 23. Januar die Universität Leipzig eine Pressemitteilung veröffentlichte, laut der die Demonstration des islamkritischen Bündnisses Legida am vergangenen Mittwoch kleiner war als die Polizei angab. Ein Team der Soziologie fand heraus, dass Legida nur 5.000 Teilnehmer auf die Straße brachte, die Behörden hatten zuvor von 15.000 gesprochen.

    student!-Redakteur Alexander Sinoviev hatte Gelegenheit, mit Stephan Poppe, Dozent für Statistik am Institut für Soziologie der Uni Leipzig und seinem studentischen Team, bestehend aus Clara Dilger, Marcel Sarközi und Lasse Emden zu sprechen. Mit dem Aufkommen der Legidademonstrationen bot sich den Wissenschaftlern die Gelegenheit, selbst eine soziologische Zählung durchzuführen. Dabei ging es ihnen, laut eigener Aussage, nicht darum, die Zahlen der Polizei zu widerlegen, im Fokus stand das wissenschaftliche Interesse. Für die Teammitglieder ist es aber auch eine Frage des Berufsethos: „Als Soziologiestudierender ist man schon verpflichtet zu forschen, wenn in der eigenen Stadt solche Demonstrationen stattfinden“, meint ein Teammitglied.

    stephan-poppe@2x

    Stephan Poppe, Dozent für Statistik am Institut für Soziologie der Uni Leipzig

    In den Augen der Soziologen sind Teilnehmerzahlen ein Hauptkriterium, um  Demonstrationen beurteilen zu können, denn hohe Zahlen können eine Sogwirkung für andere entfalten. Außerdem sind die Zahlen ein wichtiger Indikator dafür, ob die Gesellschaft den Zielen einer Demonstration zustimmt. Zu den Gründen, warum die Polizei auf andere Zahlen gekommen ist, möchte sich das Forscherteam nicht äußern. Die Vorwürfe des Polizeisprechers Uwe Voigt weisen sie jedoch zurück. Die Wochenzeitung „Der Freitag“ berichtete am Sonntag, dass er die Angaben der Soziologen scharf kritisierte. Seiner Meinung nach waren die Soziologen während der Demonstration gar nicht anwesend und deshalb sei er verwundert, dass ihre Zahlen so kritiklos aufgenommen wurden.

    Entgegen Voigts Annahme waren jedoch zahlreiche Teammitglieder vor Ort. Einige filmten und fotografierten das Geschehen am Augustusplatz von einem höher gelegenen Standpunkt aus, während andere die Zählungen direkt auf der Demonstration unternahmen. Das Team ermittelte, wie viele Personen sich in einem abgemessenen Quadrat aufhielten, mit Hilfe der Fotos konnte später der gesamte Platz in ein Raster unterteilt und ausgezählt werden.

    Andere Studenten zählten vorbeigehende Demonstranten mit Klickern. Des Weiteren wurde ein Video auf Höhe des Ringcafés aufgenommen und ebenfalls ausgezählt. Alle drei Methoden führten zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch das Argument, dass Personen, die blockiert wurden und nicht auf die Demo gelangten, nicht mitgezählt wurden, konnte das Team entkräften. Da die Polizei diese Personen in ihre Statistik auch nicht aufgenommen hat, ändert sich nichts an dem Verhältnis der Zahlen.

    Einige Kommentatoren in Onlineforen, äußerten ihren Unmut darüber, dass die Gegendemonstration von den Studenten nicht gezählt wurde. Für das Team war diese Zählung zu aufwendig, da die einzelnen Abschnitte zu weit verstreut waren und es sich als schwierig erwies, von einem Ort zum nächsten zu wechseln. Trotz der Kritik des Polizeisprechers war das Team sehr offen für eine Kooperation mit den Beamten. Natürlich hat die Polizei an einem solchen Tag primär andere Aufgaben, als die Demonstranten zu zählen. Die Studenten pflichteten dem bei und würden die Polizei bei der Zählung unterstützen, wenn gewährleistet wäre, dass „wir eine gute Sicht auf die Demonstration haben und uns auch sicher bewegen können.“

    Poppe betont auch in Hinblick auf die kommenden Demonstrationen: „Nach unten korrigierte Zahlen dürfen nicht automatisch dazu führen, dass nun an Polizei eingespart wird. Es ist besser und rationaler, zunächst zu hoch zu kalkulieren, um die Sicherheit zu garantieren, auch wenn das nicht unerhebliche Kosten bedeutet.“ Poppe und sein Team werden auch während der kommenden Demonstration ihre Zählungen durchführen und die Zahlen veröffentlichen.

    Foto Demonstration: mdo

    Foto Poppe: Quantel-Zentrum für quantitative empirische Sozialforschung

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