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  • Kulturarbeit und Popcorn

    Der Verein Netzwerk für Demokratische Kultur setzt sich in Wurzen für Jugend- und Kulturarbeit frei von rechten Strukturen ein und hat es dabei nicht immer leicht.

    Knapp 15 Minuten Fußweg vom Wurzener Bahnhof entfernt sitzt der Verein Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK), direkt neben dem Dom St. Marien. Man durchkreuzt kleine, alte Gassen, die friedlich vor sich hin schlummern, denn Menschen sind kaum unterwegs an diesem Dienstagmorgen. Wurzen ist eine Stadt, circa 30 Kilometer östlich von Leipzig, in der rund 16.000 Menschen leben. Seit fast 20 Jahren arbeitet das NDK hier für den Erhalt politischer Themen abseits des rechten Meinungsspektrums und veranstaltet dafür Podiumsdiskussionen, Filmabende sowie Vernetzungstreffen. Das Netz­werk ist Vermittler und Unterstützer für viele Freiwillige. Dabei hat es der Verein nicht leicht, denn in der Vergangenheit ist Wurzen immer wieder durch rechtsextreme Gewalttaten aufgefallen.

    Versteckt hinter Nadelbäumen liegt das Haus des Vereins: das Kultur- und BürgerInnenzentrum D5. Vor dem Eingang steht Ingo Stange, rauchend und mit gelber Kaffeetasse in der Hand. Sie wird sein ständiger Begleiter sein in den nächsten Stunden. Stange ist für die Öffentlichkeitsarbeit des NDK zuständig, organisiert selbst Veranstaltungen und ist Mitbegründer, also seit den Anfängen des Vereins mit dabei. Auf die Frage, ob heute ein entspannter Arbeitstag wäre, lacht er kurz auf. Eventuell müsse er später kurz telefonieren und es werden noch zwei Schulklassen im Rahmen des Kinder- und Jugendfilmfestivals Leoliese vorbeikommen, da müsse er sich drum kümmern.

    Langer Weg

    „Das NDK steht für eine gelebte demokratische Kultur, für das Einüben demokratischer Praktiken, für das gewaltfreie Aushandeln von Konflikten, für eine kritische und aktive Zivilgesellschaft“, so beschreibt der Verein sein Leitbild auf seiner Website. Neben eigenen Veranstaltungen bietet der Verein zum Beispiel auch Beratungen für Freiwillige an, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren sowie Fortbildungen im Bereich Soziale Arbeit oder Projektmanagement. Seit 2006 sitzt der Verein im neu gegründeten Kultur- und BürgerInnenzentrum D5, das fünf Jahre lang teilsaniert werden musste, bevor es bezogen werden konnte. Davor war der Verein auf gemietete Räume von der Stadt angewiesen. Jedoch sei dort die Durchführung von Veranstaltungen oftmals schwer gewesen. „Die damalige Stadtspitze mit dem Wurzener Bürgermeister war uns nicht sehr gewogen und betonte immer, dass es keine Probleme mit Rechten gebe. Sie haben das ignoriert.“ Dennoch schaffte es der Verein, in seinen ersten Anfängen eine eigene Monatszeitschrift herauszubringen, Bildungsausflüge für Schüler*innen zu organisieren und einen Ort für Veranstaltungen zu schaffen – das alles damals auf ehrenamtlicher Basis. „Wir wollten eine Gegenkultur starten, da alle öffentlichen Räume, zum Beispiel Jugendclubs, von Rechten besetzt waren.“

    Das Kultur- und BürgerInnenzentrum D5 in Wurzen

    Die Arbeitsplätze im D5 sind begrenzt und wirken zusammengewürfelt, aber gemütlich. „Wenn alle Mitarbeiter*innen da sind, wird es ganz schön eng.“ Neben den Büroräumen gibt es einen Seminarraum, eine Küche, ein großes Versammlungszimmer mit Couch und einen Keller für Veranstaltungen. Derzeit sind im NDK zehn Menschen hauptamtlich in Teilzeit tätig, oft werden Stunden zusätzlich gemacht. „Ich brenne für das Haus, ich brenne für die Sache. Das heißt, ich guck da auch nicht auf die Zeit“, sagt Stange.

    Der Verein finanziert sich derzeit vor allem über Projektanträge; eine Strukturförderung zum Erhalt des Vereins und zur Durchführung der alltäglichen Aufgaben gibt es nicht. „Unsere Struktur wird durch die Mitarbeiter*innen getragen. Auch die Geschäftsführung ist so gesehen nur ein Projekt. Das Problem dabei ist, dass man nie auf aktuelle Ereignisse reagieren kann, sondern immer nur projektbezogen arbeitet“, erklärt Martina Glass. Sie ist seit 2015 Geschäftsführerin des NDK. Außerdem sei sie für die Vernetzungs- und Gremienarbeit, das operative Geschäft des Vereins und Strategieentwicklung zuständig. Nicht nur regional, sondern auch landes- und bundesweit ist der Verein vernetzt. Zum Beispiel ist er Teil der Bundesarbeitsgemeinschaft Ki­r­­che und Rechtsextremismus und des Entwicklungspolitischen Netz­­werks Sachsen.

    Kulturarbeit

    Es kommen Menschen vom Catering vorbei, sie bringen Popcorn und frisch geschnittenes Obst, der Austausch wirkt vertraut. Die Knabbereien sind für die Schulklasse, die im Rahmen des 13. Jugend- und Kinderfilmfestivals Leoliese heute vorbeikommen soll. Stange muss dafür noch den Keller vorbereiten. Izadin Mohamed hilft ihm dabei. Er erzählt, dass er hier schon seit drei Jahren ein- und ausgeht und oft ausgeholfen hat. Seit Anfang September ist er nun als Bun­desfreiwilliger beim NDK. „Hier habe ich gut Leute kennenlernen können. Es macht Spaß. Mir wurde dann angeboten hier den Bundesfreiwilligendienst zu machen und da habe ich zugesagt.“ Im Untergeschoss ist viel Platz, der kleine Bartresen ist bestückt mit Stickern wie „FCK NZS“ oder „Nazifreie Zone“. Heute sitzen dort Schüler*innen, schau­en einen Film und am nächs­ten Tag findet das offene Treffen für Punkrockliebhaber*innen statt. „Es gibt eine lebendige Punkrockszene in Wurzen. Teils in der dritten Generation werden Konzerte organisiert oder auch mal eine Buchlesung mit einem Zeitzeugen aus den 80ern. Wir stellen dafür nur noch die Räumlichkeiten und die Technik“, so Stange.

    Probleme

    Nachdem die Schulkinder versorgt sind, wird in einer freien Minute sogleich bei einer Zigarette über die nächsten Filmprojekte geredet. Stange wirkt locker und zugleich nach­denklich. Nicht alle schätzten die Tätigkeit des Vereins und legten ihr manchmal Steine in den Weg. Im Mai und Anfang August haben mutmaßlich rechtsextremistische Täter*innen das D5 angegriffen. Dabei wurden Fenster eingeworfen, Videoüberwachungsge­räte gestohlen und be­schädigt. Auch im Netz sieht es nicht wohlig aus. „Es gab schon Kampagnen gegen uns, in denen uns vorgeworfen wurde, dass wir selbst die Schäden angerichtet hätten, um Fördergelder zu bekommen“, so die Geschäftsführerin Glass. Allen voran spielt hier die Partei Neues Forum für Wurzen (NFW) eine große Rolle. In Facebook-Beiträgen wirft sie dem Haus Verschwendung von Steuergeldern vor und dass sie die Förderungen selbst einstecken würden.

    Im April startete sie zudem eine Petition mit dem Titel „Das NDK kaltstellen, ihm die Kohle entziehen“ in dem sie die Streichung der städtischen und staatlichen Fördergelder für den Verein fordern. Die Finanzierung des NDK besteht bis zu 80 Prozent aus Fördermitteln, davon bekommen sie sieben Prozent von der Stadt Wurzen, sagt Glass. Bei der diesjährigen Kommunalwahl wurde das NFW mit drei Sitzen in den Stadtrat gewählt. Einen davon bekam Benjamin Brinsa, nun Fraktionsvorsitzender der Partei, und bekannt als rechter Kampf­sportler. Zusammen mit der AfD forderten sie im Stadtrat die Offenlegung der Finanzen des NDK. „Die Hetze wirkt leider ganz gut. Leute grüßen nicht mehr, bleiben fern. Daran gehen Freundschaften kaputt“, sagt Stange. Glass, die Geschäftsführerin des NDK, erzählt, dass sie nach den Kampagnen selbst erstmal gezweifelt hatten. „Wir wurden psychisch massiv angegriffen und mussten uns selbst erst wieder bestärken, dass das gut ist was wir tun. Es ist richtig und wichtig. Wir müssen einfach weitermachen und wir wollen hier in Wurzen etwas verändern.“

    Zukunft

    Auch für das Kultur- und BürgerInnenzentrum D5 steht noch einiges an. Hier soll später mal ein Tagungszentrum entstehen mit Seminarräumen und Unterbringungsmöglichkei­ten. Der Startschuss für den Bau soll noch diesen Herbst fallen. Geplant sind die Sanierung und der Ausbau von drei Etagen und die Aufschüttung des Hanges, da das Haus sonst zu instabil wäre. Seit 2002 sind in das Projekt schon 16.000 ehrenamtliche Arbeitsstunden ge­flos­sen. Jedes Jahr kommen zwölf Schüler*innen der Abschlussklasse des Evangelischen Schul­zentrums Leipzig, um bei Arbeiten am Haus zu helfen. „Ideen Raum zu geben, war von Anfang an die Grundlage des NDK“, steht in der Broschüre, die für das Vorhaben angefertigt wurde. Über 1,5 Millionen Euro werden benötigt, damit das D5 endlich vollständig eröffnet werden kann.

    Fotos: Annika Seiferlein

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