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  • „Und macht den Schoß der Erde bersten! Der Riss soll eurer Leichen Grabmal sein! – Schießt!“

    Mutige und kontrastreiche Inszenierung von Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ im Schauspiel Leipzig, die trotz Längen überzeugt.

    „Hölderlin ist der große Lyriker, Musil ist der große Prosaschreiber und Kleist ist der große Dramatiker, Goethe ist es dreimal nicht“, legte der österreichische Autor Thomas Bernhard in seinem großen Roman „Auslöschung“ dem Protagonisten in den Mund. Damit schuf er dem in der Geschichte der deutschen Literatur zu leicht übersehenen Heinrich von Kleist (*1777, †1811) schriftstellerisch ein Denkmal. Keine leichte Aufgabe also für Regisseur Philipp Preuss, mit seiner Inszenierung des Stücks „Prinz Friedrich von Homburg“, die am 27. April am Schauspiel Leipzig Premiere feierte, der Qualität der Vorlage gerecht zu werden.

    Worum geht’s? Prinz Friedrich Arthur von Homburg, ein General des Kurfürsten von Brandenburg, träumt vor einer großen Schlacht gegen schwedische Truppen vor sich hin, wobei der Kurfürst, den halbwachen Zustand des Prinzen ausnutzend, ihn fälschlicherweise an einen triumphalen Sieg glauben lässt. Dadurch verwirrt, entgehen Homburg die Befehle zur Schlacht und er greift vorzeitig an, erreicht einen durchaus gefeierten Teilsieg ─ und wird vom Kurfürsten wegen Befehlsverweigerung zum Tode verurteilt. Alle militärische Haltung und sogenannte menschliche Größe verlierend, fleht er in rasender Todesangst um sein Leben und wird begnadigt, unter der Bedingung, den Urteilsspruch Unrecht zu nennen. Doch diese Bedingung weckt Zweifel in Homburg.

    „Prinz Friedrich von Homburg“ ist ein Stück über das Wesen des Gehorsams, in dessen Mitte eine Frage steht, die mit einer großen Portion Skeptizismus an der Beantwortbarkeit behandelt wird: Was heißt das eigentlich alles, Folgen, autonomes Handeln? Zentraler Punkt der Untersuchung ist der Charakter des Prinzen von Homburg, eine aus heutiger Sicht eher aus der Zeit gefallene Figur, die gefangen ist zwischen romantischer Gefühlsduselei und aristokratischer Militärtradition. Bei allem Genius ist auch dem Text selbst anzumerken, dass er über 200 Jahre alt ist, sodass sich die Frage stellt, ob und wie eine Modernisierung des Stoffs gelingen kann.

    Hier geht Preuss einen mutigen, vor allem aber konsequenten Weg. Er greift die Widersprüchlichkeit des Prinzen inszenatorisch auf, was sich in drastischen Kontrasten zeigt. Zum einen stellt er einem extrem reduzierten Bühnenbild (großartig gestaltet von Ramallah Aubrecht) ein Effektfeuerwerk gegenüber: Ausufernde, aus der Vorlage entnommene und mantrisch wiederholte Schlachtbeschreibungen mit ausgiebigen, schauspielerisch toll umgesetzten Zeitlupeneffekten und Blutgemetzel erinnern mehr an Michael Bays Actionfilme, als an Theater. Ebenfalls am Kino orientiert – aber mehr an Arthouse und Film Noir – sind die ausgeprägten und mehrschichtigen Videoeffekte der Videokünstlerin Konny Keller, die keine Verlegenheitslösung sind, sondern die Inszenierung wesentlich aufwerten.

    Eine weitere Reminiszenz an Michael Bay findet sich im Kontrast zwischen Stille und akustischem Bombast (großes Lob an den Komponisten Kornelius Heidebrecht), der wunderbar mit der bombastische Sprache Kleists harmoniert. Über die fürs Theater ungewohnten, aber hochatmosphärischen Klangsphären hinaus (die jedoch leider manchmal die durch das Mikrofon verstärkten Sprechpassagen übertönen), gibt es musikalische Ausbrüche, dass die Ohren klingeln. Dröhnende Soundscapes, die man sonst nur aus Sci-Fi-Filmen kennt, live auf Bass-Klarinette und Tuba in Kombination mit Mic drop-Statements à la „Du strahlst mir, durch die Binde meiner Augen, / Mir Glanz der tausendfachen Sonne zu!“ – sehr gelungen!

    Zuletzt setzen Preuss und Dramaturgin Clara Probst moderne komödiantische Elemente, die so nicht in der Vorlage auftauchen, der aus heutiger Sicht etwas verstaubten Sprache entgegen. Solche Elemente sind zwar im Stück selbst versteckt, wirken aber platt übertragen auf die Dialogebene in der Regel eher deplatziert und stehen auch dem Festhalten an der Originalsprache etwas entgegen.

    Den Text selbst nicht zu modernisieren, Kleist also die Macht seiner Sprache zu lassen, ist aber eine hervorragende Entscheidung und den Preis des teils schwer im Magen liegenden Pathos allemal wert. Trotz oder gerade weil der Text vor sprachlichem Bilderreichtum strotzt, hat er jedoch durchaus Längen und hier begehen Preuss und Dramaturgin Clara Probst einen Fehler: Sie betonen diese noch mit unnötigen inszenatorischen Mitteln, vor allem Wiederholungen. Hier wäre wohl weniger mehr gewesen – und bei über zweieinhalb Stunden Laufzeit sehr gut verkraftbar.

    Auch fragwürdig ist die Vermischung des Texts mit der Biographie des Autors. Ja, Kleist hat in seinen Mittdreißigern tatsächlich einvernehmlich erst seine gute Freundin Henriette Vogel und dann sich selbst erschossen; aber was das mit der Inszenierung dieses Stücks zu tun hat bleibt unklar. Dieses biographische Detail nicht nur einmal, sondern gleich vier- oder fünfmal in die Inszenierung zu zwingen, mag zwar atmosphärisch sein, aber der Preis ist hoch: Insgesamt kommt diese Effekthascherei so unpassend daher, dass sie im besten Fall ungeschickt, im schlimmsten billig wirkt.

    Was also bleibt nach diesem Feuerwerk hängen, bei dem sich insbesondere Felix Axel Preißler als Homburg auf der Bühne sozusagen vollkommen verausgabt und vollständig zerstört? Im Programmheft steht ein Zitat von Kleist aus dem Jahr 1801: „Ich passe mich nicht unter die Menschen, es ist eine traurige Wahrheit, aber eine Wahrheit.“ Das fasst sowohl sein Leben, als auch sein Werk und dessen zeitgenössische Rezeption treffend zusammen; ironisch auch, dass der „große Dramatiker“ nie eines seiner Stücke gesehen hat. Ob Kleist nach dieser Leipziger Inszenierung besser in unsere Zeit passen würde? Da habe ich meine Zweifel. Nicht jedoch daran, dass diese Inszenierung gut in unsere widersprüchliche Zeit passt.

    Fotos: Rolf Arnold

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