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  • Über Neid und Auffälligkeiten

    Manch einem mag der laute Sachse im Urlaub peinlich sein. Doch im Grunde sind Dialekte so etwas wie ein Stückchen Zuhause, das wir in uns tragen.

    Es geschehen noch Wunder. Liebt mein Gesicht sonst aus Peinlichkeit oft die Farbe Rot, wechselte es vergangenes Wochenende ausnahmsweise mal zu grün, der mir sonst so unbekannten Farbe des Neids. Grund dafür war die Sonntagskolumne von letzter Woche, in dem Autorin Annika ihren fränkischen Dialekt auf den Prüfstand stellte. Mag das bei manchem amüsante, bei anderen gar nervenaufreibende Erinnerungen hervorgerufen haben, war ich einfach nur neidisch. Neidisch auf ein Markenzeichen, neidisch auf ein Regionalkolorit, neidisch auf diese eigene Art von Heimatverbundenheit. Denn mir selbst fehlt eine solche sprachliche Gebundenheit. Durch meine Heimat im kühlen Norden – und dann auch noch im dunklen Ostteil davon – hört mir eigentlich nie jemand meine Herkunft an. Auch wenn man uns Fischköppen oft ein gewisses In-die-Länge-ziehen der Endungen nachsagt, suche ich Eigenarten bei mir vergeblich. Kein „ne“, kein „joah“ oder „gell“, nicht mal das traditionelle „Plattdütsch“ aus der Grundschule findet noch den Weg in meine Alltagssprache.

    Doch dann nutzte ich die vergangenen Tage im Norden, um zu lauschen. Und da war es plötzlich an jeder Ecke. Ob an der Supermarktkasse, in den eigentlich so ruhigen Dorfstraßen meiner kleinen Ostseeinsel oder sogar im Regionalfernsehen: Norddeutsch! Mit einem Mal fiel mir wieder dieses Plüschige, ja wunderbar Gelassene auf, das mir in meiner neuen zweiten Heimat Sachsen fast fremd geworden war. Jene Ruhe, die dem Norden oft als Sturheit oder Kälte zugerechnet wird, rief in mir eine Wärme aus, wie es nur Liebe tun kann (und ich rede von kitschiger Heimatliebe, nicht zu verwechseln mit vernarrtem Patriotismus). Plötzlich war es mir dieser Tage egal, dass das Regionalfernsehen eigentlich auf Rentner ausgelegt ist und Themen daher von Rheuma über Blutdruck bis hin zu Mieterbeschwerden reichen. Denn wie viel Stress oder Traurigkeit mein Gemüt auch hin und wieder in sich tragen mag, Sprache geht mir ins Herz. Anders als für Annika ist Sprache für mich einer der wichtigsten Bestandteile meines Lebens und so etwas wie eine dritte Heimat. Ob meine Muttersprache Deutsch oder erlernte Fremdsprachen, immer wieder bin ich fasziniert davon, wie wir Menschen auf unterschiedlichste Weise miteinander kommunizieren. Und deshalb macht es mich immer noch ein wenig traurig, dass meine eigene Sprache kein wirkliches Markenzeichen in Form eines Dialektes in sich trägt.

    Kolumnistin Nathalie Trappe

    Kolumnistin Nathalie Trappe

    Doch vielleicht geht es wirklich gar nicht unbedingt darum, wer auffällt, sondern darum, dass es uns überhaupt auffällt. Denn ist es nicht genau das, was mich so fasziniert? Dass wir in Deutschland genauso viele Aussprachen wie regionale Küchen haben, sodass man selbst im Urlaub eine ganz bestimmte Nachbarschaft anhand ihrer Gespräche erkennt? Dass man Dialekte schnell auch in der zweiten Heimat als Signal für Zuhause empfindet, selbst wenn diese Heimat nun in Sachsen ist? Und dass wir uns am Ende meistens trotzdem verstehen, auch wenn einige Wörter wirklich nicht mehr im Entferntesten im Duden auffindbar wären? Und möglicherweise habe ich daher sogar großes Glück, unter meinem Fischerhut noch mehr Freude an diesen Unterschieden finden zu dürfen. Denn da die meisten Begriffe in meinem Wortschatz gleichzeitig hochdeutsch sind, erkenne ich regionale Varianten umso schneller. Vollkommenes Glück ist für mich jedoch immer noch, wenn mir die Schaffnerin im Zug kurz vor Hamburg schließlich ein kräftiges „Moin moin!“ entgegenjubelt. Und eins steht für mich fest: Nur im Norden spricht man das richtig aus. Mit genügend Gemütlichkeit und der richtigen Prise Salz. Meersalz, versteht sich.

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